Wenig Schlaf für Bruder Martinus

In Erfurt wandelte sich Luther vom wohlhabenden Studenten zum Bettelmönch

15. Juli 2016

Lutherzelle im Erfurter Augustinerkloster
Lutherzelle im Augustinerkloster Erfurt. (Foto:epd-Bild/Jens-Ulrich Koch)

In Erfurt erzählt fast jeder Pflasterstein eine Geschichte. Auf einige von ihnen hat zu Beginn des 16. Jahrhundert auch der junge Martin Luther seine Füße gesetzt. Mit 17, im Jahr 1501, kam der spätere Reformator nach seiner Schulzeit in Mansfeld, Magdeburg und Eisenach nach Erfurt. Rund zehn Jahre später verließ er sie als Mönch. Zunächst studierte er, wie damals oft üblich, an der "Hierana" die "Sieben Freien Künste" wie Grammatik, Rhetorik und Astronomie.

Die Erfurter Universität bestand da schon mehr als 100 Jahre. Manch ortsansässiger Historiker nennt sie gar die älteste Universität Deutschlands, stammt doch das Privileg zu ihrer Einrichtung aus dem Jahr 1379. Erfurt hatte damals 20.000 Einwohner und zählte zu den fünf größten Städten im Reich. Heute hat die thüringische Landeshauptstadt gut 200.000 Einwohner und bietet einen großen mittelalterlich geprägten Altstadtkern.

Damals übte der Ruf von Stadt und Universität auf den jungen Mann aus wohlhabendem Hause eine magische Anziehungskraft aus. Zudem versprach sich sein strenger Vater vom späteren Studium der Jurisprudenz einen Grundstein für eine steile Karriere als Beamter an einem Fürstenhof.

Unter Donner und Blitz

Doch es kam anders. Die Legende berichtet, dass der junge Mann am 2. Juli 1505 auf der Rückreise von einem Besuch bei seinen Eltern im rund 90 Kilometer entfernten Mansfeld auf einem Feld bei Stotternheim, das heute zu Erfurt gehört, von Blitz und Donner überrascht wurde. In Todesangst rief er: "Ich will Mönch werden!" Das setze er auch in die Tat um und trat zwei Wochen später in das strenge Augustinerkloster ein. Forscher vermuten, dass er schon vorher mit dem Gedanken spielte, aber Angst vor der Reaktion des Vaters hatte.

Im Augustinerkloster wird deutlich, wie die Mönche des Bettelordens vor 500 Jahren lebten. Und wie Luther sich mit der Frage quälte: "Wie kriege ich einen gnädigen Gott?" In der Dauerausstellung unter dem Dach sind Mönchszellen zu sehen. Allerdings dienten sie nicht privaten Bedürfnissen, erzählt Kurator Carsten Fromm. Geschlafen wurde in einem Raum, die Zellen waren allein Rückzugsorte für die Glaubensarbeit.

Reduktion auf das Wesentliche

In einem der kleinen Räume werden hinter dicken Eisenstäben schwere Folianten aufbewahrt. Sie sind Teil der berühmten Bibliothek des Klosters. Durch eine Glasscheibe hindurch können die Besucher aus der Ausstellung in ihren Lesesaal blicken.

Im Fenster der Kirche ist die Rose zu sehen, die den Reformator zu seinem Siegel inspiriert haben soll. Im Kapitelsaal bekommt der Gast eine kleine Vorstellung von der Strenge des klösterlichen Lebens. Mehr als vier Stunden Schlaf waren für die Mönche nicht drin – den Rest des Tages widmeten sie sich dem Gebet und Studium der Heiligen Schrift.

Heute ist das Kloster eine Bildungs- und Begegnungsstätte. Wer ohne Parkplatz und Telefon auskommen kann, ist hier richtig. "Wir versuchen eine Reduktion auf das Wesentliche", beschreibt Kurator Fromm das Anliegen seines Hauses. Von hier aus lässt sich Luthers Erfurt erkunden.

Geschichtsträchtiges Terrain am Dom

Nur wenige Schritte sind es vom Kloster hinüber zum Dom, wo Luther 1507 zum Priester geweiht wurde. Der Weg führt durch das alte lateinische Viertel der Universität, über kurze Abstecher gelangt man zur Krämerbrücke, der einzigen bebauten Brücke nördlich der Alpen, und in die Waagegasse zur ältesten erhaltenen Synagoge Mitteleuropas. Dort ist seit einigen Jahren auch der Goldschatz zu sehen, den ein reicher Jude vor dem Pogrom von 1349 vergrub.

Vieles lässt sich in Erfurt entdecken, was an Luthers Aufenthalt bis 1511, seinem Wechsel nach Wittenberg, erinnert. Die Humanistenstätte Engelsburg zum Beispiel, die heute ein Studentenclub ist. Dort soll der kranke Martin Luther 1537 behandelt worden sein. Und die pittoresken Bursen, Fachwerkhäuser am Flussufer, die als Studentenwohnheime dienten. So gründete sich vor einigen Jahren der Verein "Georgenburse Erfurt", der das Haus betreut, in das der Student Luther Ende April 1501 eingezogen sein soll. Es gibt eine kleine ökumenische Pilgerherberge und eine Ausstellung darüber, wie die Studenten im Mittelalter so lebten.

Dirk Löhr und Wiebke Rannenberg (epd)