Ein Angebot für's lebenslange Lernen

Geschäftsführer Martin Schulze zieht eine Zwischenbilanz des Bundesfreiwilligendienstes – fünf Jahre nach dem Start

1. Juli 2016

Heinke Petersen (65), Bundesfreiwilliger in der Klosterstätte Ihlow
Der 65-jährige Heinke Petersen leistet einen Freiwilligendienst In der Klosterstätte Ihlow bei Aurich. Dort führt er unter anderem Touristen. (Foto:epd-Bild/Jörg Nielsen)

Der Bundesfreiwilligendienst (BFD) ist ein Erfolgsmodell. So sieht es jedenfalls das zuständige Bundesfamilienministerium. "Er hat sich in das System der Freiwilligendienste gut eingefügt und stärkt unsere Zivilgesellschaft", sagte ein Ministeriumssprecher dem Evangelischen Pressedienst. Vor fünf Jahren, am 1. Juli 2011, wurde der BFD als Ersatz für den abgeschafften Zivildienst eingeführt. Traditionell engagieren sich evangelische Träger sehr stark im Bereich der Freiwilligendienste: Die evangelische Internetplattform Ein-Jahr-freiwillig.de wurde im Juni mit einem "Best of Content Marketing 2016"-Award augezeichnet. Martin Schulze, Geschäftsführer der Evangelischen Freiwilligendienste, wird fünf Jahre nach dem Start einen würdigenden aber auch kritischen Blick auf die Praxis des BFD.

Jedes Jahr machen bundesweit rund 100.000 Menschen einen Freiwilligendienst – 38 Prozent davon im Bundesfreiwilligendienst, 54 Prozent im Freiwilligen Sozialen und ökologischen Jahr, 8 Prozent in anderen Programmen. Sechs bis 18 Monate lang engagieren sich Menschen 21 bis 40 Stunden pro Woche in einer Einsatzstelle. Gleichzeitig erleben sie begleitet von Pädagoginnen und Pädagogen eine besondere Bildungs- und Orientierungszeit. Den vielen Freiwilligen in allen Programmen gebührt großer Dank für ihr gesellschaftliches Engagement und für ihren Einsatz. Doch hinter den Kulissen machen unnötige Doppelstrukturen den Akteuren das Leben schwer. Anlass für eine Zwischenbilanz.

Vor fünf Jahren wird der Bundesfreiwilligendienst (BFD) von der Bundesregierung ins Leben gerufen. Dabei ist er grundsätzlich keine neue Erfindung: Programme wie das Freiwillige Soziale Jahr (FSJ) oder das Freiwillige Ökologische Jahr (FÖJ) blicken schon 2011 auf eine jahrzehntelange Tradition zurück. Mit Aussetzen der Wehrpflicht und des Zivildienstes wird dann der BFD geschaffen. Ein anderer Weg wäre der Ausbau und die Stärkung der bewährten Jugendfreiwilligendienste gewesen. Politischer Wille der damaligen Bundesregierung ist aber vornehmlich der Erhalt der behördlichen Strukturen des Zivildienstes. Dies bedeutet für die ausführenden Organisationen bis heute einen erheblichen Mehraufwand. Von der großen Dynamik und dem schnellen Ausbau des BFD sind 2011 die Verbände aber auch positiv überrascht. Schnell können die zur Verfügung stehenden Plätze besetzt werden.

Öffnung für Menschen jeden Alters

Den BFD können Menschen jeden Alters absolvieren – also auch über die bisherige Altersgrenze von 27 in den Jugendfreiwilligendiensten hinaus. Mit der Öffnung verknüpft sind Fragen, wie etwa die Abgrenzung von arbeitsmarktpolitischen Maßnahmen. Insgesamt gesehen hat der BFD hiermit aber eine Neuerung angestoßen, die sich für die Teilnehmenden als sehr positiv herausstellt. Im Sinne des lebenslangen Lernens ist ein BFD für bestimmte Zielgruppen ein wertvolles Angebot.

Die Erfahrungen zeigen, dass es weniger Personen im Ruhestand sind, die einen solchen Dienst machen, als vielmehr Menschen in Umbruchsituationen wie Wiedereinstieg nach der Familienphase, berufliche Neuorientierung oder aus der Arbeitslosigkeit heraus. Bundesweit sind in diesem April 70 Prozent der Freiwilligen im BFD unter 27 Jahre, also im gleichen Altersspektrum wie im FSJ. 30 Prozent der Freiwilligen sind älter, die Mehrzahl hiervon zwischen 27 und 50 Jahren. In den neuen Bundesländern ist das Verhältnis allerdings zugunsten der lebensälteren Freiwilligen verschoben.

Träger besser einbinden

Ein zentraler Erfolgsfaktor von Freiwilligendiensten ist das „Trägerprinzip“: Die umsetzenden Organisationen stellen mit ihrem Begleitkonzept sicher, dass sowohl Freiwillige als auch Einsatzstellen eine unabhängige Stelle haben, an die sie sich bei Problemen wenden können. Beim Träger liegt auch die Gesamtverantwortung für die Ausgestaltung des Dienstes inklusive der pädagogischen Begleitung – weit genug weg von den Einsatzstellen und doch dicht genug dran an den Freiwilligen und ihren Einsätzen.  Außerdem bringt die Vielfalt der Träger und Zentralstellen auch unterschiedlichste Ansätze mit sich, was den vielfältigen Bedürfnissen der Freiwilligen entgegenkommt.

Im Bundesfreiwilligendienst werden allerdings Verträge, die in den Jugendfreiwilligendiensten zwischen Freiwilligen, Einsatzstellen und Trägern geschlossen werden, nur zwischen Bund und Freiwilligen geschlossen – eine Rechtskonstruktion, die in der praktischen Umsetzung zu erheblichem Aufwand führt. Die fehlende Verankerung des Trägerprinzips ist ein Geburtsfehler des Bundesfreiwilligendienstes, da vor allem die Träger zusammen mit den Zentralstellen und den Einsatzstellen  dem BFD zum Erfolg verholfen haben und ihnen eine entscheidende Rolle in der erfolgreichen Durchführung des Dienstes zukommt.

Bund mischt bei Bildungsarbeit mit

Freiwilligendienste sind und bleiben Bildungs- und Orientierungszeit für die Freiwilligen. Dabei war es bewährtes Prinzip, dass Träger die Bildungsarbeit mit einem zusammenhängenden Gesamtkonzept gestalten. Das beinhaltet im Sinne zivilgesellschaftlicher Verantwortung auch die politische Bildung. Bei Einrichtung des BFD hat sich der Bund vorbehalten, zur Auslastung der eigenen Bildungszentren eine Woche politische Bildung in Eigenverantwortung durchzuführen. Dies ist ein Grundfehler und wird auch von den meisten Freiwilligen als Fremdkörper wahrgenommen. Die Zentralstellen fordern schon seit längerem, die Belegungspflicht in den Bildungszentren abzuschaffen. Doch auch unter SPD-Führung lehnt das Bundesministerium eine von den Verbänden geforderte Veränderung ab.  Dies ist umso unverständlicher, da die SPD selbst diese Forderung stellte, als sie noch in der Opposition war.

Staat sollte sich mehr zurückziehen

Der Bundesfreiwilligendienst hat als Ergänzung den Ausbau und die öffentliche Wahrnehmung der Freiwilligendienste deutlich voran gebracht. Die fehlende Klarheit bei der Rolle des Bundes und der enorme Verwaltungsaufwand machen ihn aber unnötig kompliziert in der Umsetzung. Der Staat sollte deshalb den Rahmen setzen, die Dienste finanziell solide ausstatten und die ordnungsgemäße Verwendung der Gelder sicherstellen, sich aus der Umsetzung des BFD jedoch zurückziehen. Zur Rollenklärung gehört insofern auch die konsequente gesetzliche Verankerung des Trägerprinzips.

In allen Freiwilligendienstformaten sollte die Verwaltung vereinfacht werden. Der Fokus der Arbeit bei Trägern und Einsatzstellen muss auf der Begleitung der Freiwilligen liegen und nicht auf der Verwaltung der Programme. Die evangelischen Träger haben in den letzten Jahren die Entwicklung von Bildungskonzepten auch für die lebensälteren Freiwilligen konsequent verfolgt. Viele erfolgreiche Ansätze sind entstanden. Die gemeinsame Weiterarbeit an Bildungs- und Qualitätsfragen mit den anderen Trägerverbänden und dem Bund ist für die Evangelische Trägergruppe ein zentraler Schlüssel, damit die Freiwilligendienste – auch der Bundesfreiwilligendienst – weiterhin so erfolgreich bleiben können.

Martin Schulze (für epd sozial)


Martin Schulze ist Geschäftsführer der Evangelischen Freiwilligendienste gGmbH. Die evangelische Trägergruppe ist mit rund 14.500 Freiwilligen pro Jahr bundesweit zweitgrößter zivilgesellschaftlicher Anbieter von Freiwilligendiensten.

Waren im Januar 2012 rund 29.800 Bürger im Bundesfreiwilligendienst (BFD) aktiv, so waren es im Mai dieses Jahres nach Angaben des zuständigen Bundesamtes für Familie und zivilgesellschaftliche Aufgaben etwas mehr als 40.000 – davon knapp 22.000 Frauen und rund 18.000 Männer. Im Januar 2014 gab es sogar mehr als 49.000 Helfer.

Nach Angaben der Evangelischen Freiwilligendienste waren Ende 2015 30 Prozent der BFD-Absolventen in Einrichtungen der Behindertenhilfe tätig. 29 Prozent kümmerten sich um die Pflege und Betreuung alter oder kranker Menschen. In Kitas, Schulen oder Diensten der Jugendhilfe kamen 25 Prozent der Helfer zum Einsatz. Auf Kirchengemeinden entfiel ein Anteil von fünf Prozent.