Ein bisschen reisen, ein bisschen helfen

Interview mit Jan Gildemeister (AGDF) zu kommerziellen Angeboten für Freiwilligeneinsätze im Ausland

10. März 2016

Finger auf der Landkarte von Sambia (Afrika)
Nicht nur mit dem Finger auf der Landkarte: Auslandsreisen mit Freiwilligeneinsatz stehen hoch im Kurs. (Foto: epd-Bild/Jörn Neumann)

Viele junge Menschen lockt die Ferne, wenn sie der Schule den Rücken gekehrt haben, andere setzen ihren Jahresurlaub ein, um auf der anderen Seite der Weltkugel ein soziales Projekt zu unterstützen. Für Freiwilligeneinsätze im Ausland gibt es mittlerweile ein breites Angebot: Schon ab zwei Wochen Aufenthalt ist man dabei. Derlei Kurzzeiteinsätze sind allerdings durchaus kostspielig – und ihr Wert für die Einrichtungen vor Ort ist fraglich. Die unterschiedlichen Angebote erläutert Jan Gildemeister, Geschäftsführer der Aktionsgemeinschaft Dienst für den Frieden (AGDF) im Interview.

Helfen und Spaß haben, Gutes tun für andere und den eigenen Lebenslauf – das versprechen Anbieter von Kurzzeiteinsätzen von Freiwilligen in Entwicklungs- und Schwellenländern – sogenannter "Voluntourismus“. Funktioniert das?

Jan Gildemeister: Helfen, beziehungsweise etwas Gutes tun für andere kann bei dem – kommerziellen – Angebot von Kurzeiteinsätzen nicht gelingen: Den Teilnehmenden fehlt in der Regel die Qualifikation und fachliche Erfahrung, die beispielsweise Entwicklungshelfinnen und Entwicklungshelfer mitbringen. Zudem besteht die Gefahr, dass im Umgang vor allem mit Kindern und Jugendlichen durch häufig wechselnde Bezugspersonen aus einem fremden Kulturkreis eher negative Folgen erzielt werden. Was soll ein solcher Einsatz im Lebenslauf, der ohne pädagogische Einbettung und Reflexion weder fachlich noch persönlich mehr bringen kann als ein Urlaubsaufenthalt? Wer darüber nachdenkt, welche negativen Folgen ein solcher Einsatz für das Projekt haben könnte, verliert vielleicht sogar den Spaß am "Job“.

Merken Sie etwas von der angeblich wachsenden Nachfrage nach und dem Erfolg dieser Angebote?

Gildemeister: Die professionelle Werbung der Anbieter und das Interesse von jungen Menschen an einem Kurzzeiteinsatz führen zu einem wachsenden Markt. Problematisch ist, dass die jungen Kunden häufig nicht von den "klassischen“, längerfristigen Internationalen Freiwilligendiensten wissen und die verschiedenen Angebotstypen daher nicht miteinander vergleichen können. Es fehlt an Information und Beratung, unter anderem durch Schulen. 

Was unterscheidet klassische Freiwilligendienste von solchen Angeboten?

Gildemeister: Internationale Freiwilligendienste dauern in der Regel 6 bis achtzehn Monate, werden intensiv pädagogisch begleitet – von der Vorbereitung bis zum Rückkehrseminar – und es gibt ein Matching zwischen dem gemeinnützigen Träger in Deutschland und seinem Partner im Einsatzland bei der Auswahl von Freiwilligem und Einsatzplatz. Das heißt, da wird genau geschaut, wer sich wo mit seinen Fähigkeiten und Interessen sinnvoll einbringen kann.

Wir stellen fest, dass die jungen Menschen im Rahmen eines solchen Lerndienstes beziehungsweise einer solchen Bildungszeit wichtige interkulturelle Erfahrungen sammeln und jede Menge Kompetenzen gewinnen können. Die meisten Träger haben einen aufwändigen Zertifizierungsprozess durchlaufen (QUIFD oder RAL). Der Freiwilligendienst ist zumeist öffentlich gefördert, ein Einsatz ist somit unabhängig vom Geldbeutel der Eltern möglich.

Viele Organisationen erwarten von den Bewerbern allerdings, dass sie selbst Spenden einwerben bzw. Fundraising betreiben für ihren Einsatz. Warum ist das dann nötig?

Gildemeister: Die öffentliche Förderung deckt nur einen Teil der Kosten ab, daher sind die Träger auf Spenden angewiesen. Die Freiwilligen müssen dabei mithelfen, indem sie Verwandte und Bekannte, Kirchengemeinde, Sportverein und andere in ihrem Umfeld bitten, an den Träger zu spenden. Im Gegenzug verpflichten sich die Freiwilligen, ihren Unterstützern regelmäßig über ihre Erfahrungen, beispielsweise auf einem Blog zu berichten – ein Gewinn für alle Beteiligten.

Was sollten Interessenten bei der Suche nach einem geeigneten Dienst beachten?

Gildemeister: Zunächst sollten sie wissen, was sie wollen. Wer schnell mit der Ausbildung beginnen oder aus anderen Gründen kein Jahr für einen Freiwilligendienst investieren will, könnte an einem Internationalen Workcamp teilnehmen, das sinnvolle, fachlich angeleitete praktische Arbeit mit Begegnungen und Studyparts verbindet. Wer keine Lust hat, sich sofort in die nächste Bildungseinrichtung zu begeben, Verantwortung übernehmen und etwas für sich und auch seinen Lebenslauf tun möchte, sollte einen Internationalen Freiwilligendienst leisten. Angesichts der Vielzahl der Angebote ist die Suche, zugegeben, nicht einfach; Auswahlkriterien können sein: Welches inhaltliche Profil hat der Träger? Ist seine Arbeit zertifiziert? Was für Kosten kommen auf mich zu? Wo will ich hin? Was würde ich gerne praktisch machen? Die evangelischen Träger informieren auf www.ein-jahr-freiwillig.de über ihre Angebote im In- und Ausland.

Wie entwickeln sich die Zahlen bei den Auslandsfreiwilligen? In welchen Ländern sind sie vorwiegend tätig?

Gildemeister: Die Zahl der öffentlich geförderten Freiwilligendienste liegt aktuell bei rund 7.500 im Jahr, mit leicht steigender Tendenz.

Die meisten Freiwilligen gehen in (west-)europäische Länder, beliebt sind aber auch die Regionen Mittel- und Lateinamerika, die Karibik und Afrika – dort vor allem Südafrika. Dann folgt Asien, der Pazifik-Raum, mit Schwerpunkt Indien. Die regionalen Schwerpunkte der Träger sind sehr unterschiedlich.

Wie wirken sich aktuelle Krisen wie der Krieg in Syrien aus? Gibt es Möglichkeiten, in den Anrainerstaaten als Freiwilliger bei der Versorgung von Flüchtlingen zu helfen?

Gildemeister: Freiwillige werden nur in Ländern eingesetzt, in denen das Auswärtige Amt die Lage als ausreichend sicher einschätzt. Der Ausbruch eines gewalttätig ausgetragenen Konfliktes führt zur Sperrung des betroffenen Landes. Notfallpläne stellen sicher, dass Freiwillige schnell evakuiert werden können.

Es gibt Einsatzplätze für Freiwillige in verschiedenen Ländern, die unter anderem die Versorgung und Hilfe für Geflüchtete zur Aufgabe haben – zumal generell die Einsatzfelder meist im sozialen Bereich liegen. Der Einsatz in Krisengebieten und Katastrophenfällen erfordert aber angesichts der hohen fachlichen Anforderungen und der großen psychischen Belastung Profis. Wer sich für Menschen mit Fluchterfahrung engagieren möchte, kann dies aber auch in Deutschland tun.


Jan Gildemeister (Diplom-Politologe, 52) ist Geschäftsführer der Aktionsgemeinschaft Dienst für den Frieden, einem Dachverband mit 32 Mitgliedsorganisationen, von denen einige einen Internationalen Freiwilligendienst anbieten. Sein älterer Sohn leistet gerade einen Freiwilligendienst in Ghana.