Mütter ohne Namen

Bochumer Psychologin begleitet vertrauliche Geburten - Angebot der Diakonie Ruhr

20. Januar 2016

schwangere Frau im Gegenlicht
Manche Frauen wollen bei der Geburt anonym bleiben. (Foto:epd-Bild/Michaela Begsteiger)

Irgendwann greift Anna zum Mieder und schnürt den immer größer werdenden Bauch zusammen. Niemand darf wissen, dass die junge Frau ein Kind bekommt. Sie fürchtet um ihr Leben, weil ihre Familie die Schwangerschaft als "Schande" ansehen würde. Doch Anna (Name geändert) will das Kind zur Welt bringen. Kurzfristig entscheidet sie sich für die vertrauliche Geburt. Seit Mai 2014 können schwangere Frauen in sozialen Notlagen auf diese Weise in einem sicheren medizinischen Umfeld ein Kind gebären, ohne ihre Identität lüften zu müssen.

Hilfe erhält Anna vor allem durch Manuela Sieg. Die Leiterin des Evangelischen Beratungszentrums der Diakonie Ruhr in Bochum machte als eine der ersten Beraterinnen in Deutschland Erfahrungen mit dem Gesetz zur vertraulichen Geburt. Danach können betroffene Frauen vor und nach der Geburt von einer Beraterin begleitet werden, die an die gesetzliche Schweigepflicht gebunden ist. Allein 2014 kamen bundesweit 95 Babys durch vertrauliche Geburten zur Welt, in Nordrhein-Westfalen waren es neun.

Noch zu wenig bekannt

Die 56-jährige Psychologin sieht aber auch noch Verbesserungsbedarf: Die vertrauliche Geburt sei in der Öffentlichkeit noch immer nicht bekannt genug. "Die eigentliche Idee, die hinter der vertraulichen Geburt steckt, konnte so noch nicht umgesetzt werden", sagt Sieg. Die Telefonnummern müssten an allen denkbaren Stellen wie Arztpraxen, Apotheken und Toiletten ausgelegt werden, fordert sie. Selbst gynäkologische Arztpraxen, Hausärzte und Krankenhäuser seien häufig nicht ausreichend informiert und verlangten die Namen der Frauen, kritisiert die Expertin.

Anna ist die erste Schwangere, die den Weg zu Manuela Sieg findet. Sie liest eine Woche vor der Entbindung auf einem Bus einen Hinweis auf die vertrauliche Geburt und wählt die angegebene Nummer. Bei Lisa (Name geändert) wird Sieg noch kurzfristiger zu Hilfe gerufen: Die junge Frau liegt schon im Kreißsaal, als die Psychologin herbeieilt. Zuvor bemerkt eine Hebamme, dass etwas nicht stimmt, weil Lisa ihren Namen nicht nennen will. "Sie hat mich dann gerufen, und ich musste mit der schwangeren Frau alles schnell im Kreißsaal klären", berichtet Sieg.

Viele Gründe, viel zu organisieren

Wenn solchen Frauen in ihrer Not nicht geholfen werde, steige das Risiko einer Kindstötung, warnt die Beraterin: "Oder aber das Kind kommt auf irgendeiner Toilette zur Welt und stirbt an mangelnder medizinischer Versorgung."

Todesangst wegen mangelnder Akzeptanz der eigenen Familie ist nur ein Grund dafür, dass Frauen ihre Schwangerschaften geheim halten. Mal entstand das Kind durch eine Vergewaltigung, mal droht Gesichtsverlust, weil das Kind aus einer heimlichen Beziehung stammt. Andere Frauen sehen sich finanziell einfach nicht in der Lage, ein Kind großzuziehen.

"Wichtig ist, dass man die Not der Frauen anerkennt und ihnen Respekt entgegenbringt", betont Sieg. "So ein Schicksal berührt." Aufgabe der Beraterin sei es, die vertrauliche Geburt vorzubereiten, Arzttermine zu organisieren und Alternativen aufzuzeigen. "In einem Fall mussten wir für die Geburt eine neue Klinik aufsuchen", sagt die Psychologin. "Und wenn die Frauen aus gesundheitlichen Gründen länger bleiben müssen, dann können sie ja nicht mit anderen Müttern auf einem Zimmer liegen." Sonst werde beispielweise gefragt: "Wo ist denn Ihr Kind?"

Daten sind hinterlegt

Anna ermöglicht die vertrauliche Geburt, einen Namen für ihr Kind auszusuchen und Wünsche an die künftigen Adoptiveltern mitzugeben. Nur die Beraterin erfährt einmal den Namen der Schwangeren: "Und den vergesse ich dann am besten wieder ganz schnell." Die Mutter des anonym zur Welt gebrachten Kindes verwendet künftig nur noch ein Pseudonym. Ihre persönlichen Daten werden in einem versiegelten Umschlag bei einer Bundesbehörde verwahrt. Erst mit 16 Jahren kann das Kind in der Regel seine Herkunft erfahren.

Manuela Sieg wünscht sich für künftige Fälle vor allem mehr Zeit. Wenn sie eine Frau über Wochen begleite, lasse sich leichter eine Vertrauensbeziehung aufbauen, sagt die Beraterin der Diakonie Ruhr. Die vertrauliche Geburt sei ein voller Erfolg, betont auch das Vorstandsmitglied der Bundesdiakonie, Maria Loheide: "Das Verfahren ist wesentlich besser als das Angebot einer Babyklappe."

Julia Bernewasser (epd)