Schatzkammer des Lebens
Im Kampf gegen den Hunger setzt "Brot für die Welt" mit der Spendenaktion 2015 auf vielfältiges Saatgut
28. November 2015
Neu-Delhi (epd). Mit einem großen Schlüssel öffnet Prakash Badomi das Vorhängeschloss, das den Speicher auf seinem Hof schützt. Langsam schiebt der Bauer die Tür aus schwerem Zedernholz auf. Der Blick geht in eine spärlich vom Tageslicht erhellte Schatzkammer, die sein wichtigstes Kapital bewahrt: Saaten für Reis, Hirse, Weizen und Gemüse. Das Lager im kleinen Dorf Kandiyal am Fuß des Himalaya ist auf Stelzen gebaut und so vor Nagern geschützt. "Früher mussten wir das alles kaufen, heute erzeugen wir es selbst", sagt der 57-Jährige, Oberhaupt einer neunköpfigen Familie. "Und das völlig ohne Kosten."
Die Region gilt als Wiege des roten Reises und liegt in einem Seitental der Yamuna, die sich mit tosenden Wassern von den Höhen des Himalaya durch ein schroffes Tal wälzt und später Neu-Delhi passiert. Hier, rund zehn Autostunden nördlich der indischen Hauptstadt im Bundesstaat Uttarakhand, wirtschaftet der Öko-Bauer Badomi auf einem Hof, der nur drei Hektar umfasst. "Und doch können wir gut von dem leben, was wir anbauen", sagt der Mann.
Hybride sind gewissermaßen Einwegpflanzen
Seit sieben Jahren arbeitet die Familie mit "Navdanya" zusammen, einer Partnerorganisation des evangelischen Hilfswerkes "Brot für die Welt". Die indische Umwelt-Aktivistin Vandana Shiva (63) hat das Projekt 1991 gegründet.
"Navdanya" bewahrt lokale Saatgutsorten und verteilt sie kostenlos an Bauern wie Badomi, die später das eineinhalbfache der Menge an die Saatgutbank zurück- oder an andere Höfe weitergeben müssen. Zwar sind Hybrid-Erträge höher, doch industriell gezüchtete Pflanzen haben auch massive Nachteile: Hybride sind gewissermaßen Einwegpflanzen. Die aufwendig herangezüchteten Eigenschaften verlieren sich bereits in der zweiten Generation. Für Nachzüchtungen ist das Hybridsaatgut nicht geeignet. So war Badomi vor der Zusammenarbeit mit "Navdanya" gezwungen, jedes Jahr aufs Neue teures Saatgut einzukaufen.
"Navdanya" dagegen züchtet auf seiner Versuchsfarm in der Provinz-Hauptstadt Dehradun Saaten, mit denen Bauern problemlos arbeiten können. Mittlerweile lagern hier hinter dicken Lehmwänden kühl und trocken mehr als 2.000 verschiedene Saaten. Darunter finden sich alleine 711 unterschiedliche Reissorten und lange vergessene Feldfrüchte wie die Fingerhirse, die viel Kalzium und Eisen enthält. Oder Amarant, das reichlich Proteine, Kohlenhydrate und ungesättigte Fettsäuren liefert. "Navdanya" schult Bauern auch im Aufbau vielfältiger Küchengärten, zu denen altbewährte Sorten wie diese gehören.
"Die Vielfalt hilft uns"
"Wir haben früher nur drei Feldfrüchte angebaut, jetzt sind es mehr als 20", zählt Badomi auf. Bei ihm wachsen neben Reis und Hirse auch Hülsenfrüchte, Ingwer, Chili und Gurken. "Die Vielfalt hilft uns", meint Badomi, der von "Navdanya" auch gelernt hat, mit eigenem Kompost zu düngen und selbst einen Sud herzustellen, mit dem er seine Pflanzen vor Schädlingen schützen kann. Dafür werden Walnussblätter mit Ingwer, Knoblauch, Zwiebeln, Hanf, Blättern vom tropischen Neembaum, Kuh-Urin und Wasser aufgegossen und 20 Tage angesetzt.
"Das Menschenrecht auf Nahrung ist erst dann umgesetzt, wenn Menschen nicht nur die richtige Menge, sondern auch die richtige Vielfalt zu sich nehmen", sagt die Präsidentin von "Brot für die Welt", Cornelia Füllkrug-Weitzel. Das Thema Mangelernährung ist deshalb auch Schwerpunkt der 57. Spendenaktion des Hilfswerkes, die unter dem Motto "Satt ist nicht genug" am ersten Advent (29. November) in Hannover eröffnet wird.
"Mangelernährte Frauen, Kinder und Männer werden schneller Opfer von Krankheiten", warnt Füllkrug-Weitzel. Fehlende Vitamine, Eiweiße und Mineralien führten zu Wachstumsstörungen, Hirnschäden oder Blutarmut. Durch den Erhalt vielfältigen Saatgutes könne dem wirksam begegnet werden. Doch die UN-Landwirtschafts- und Ernährungsorganisation (FAO) geht noch von rund zwei Milliarden Menschen aus, die mangelernährt sind. Darunter sind mehr als 800 Millionen Hungernde.
Langsam wächst das Netzwerk von "Navdanya"
Ein Weg, der nicht selten in die Katastrophe führt: Steigende Kosten, sinkende Erlöse und vor allem Missernten haben in den zurückliegenden Jahren 300.000 indische Bauern erst in die Überschuldung und dann in den Suizid getrieben. Auch deshalb müsse der Einfluss der multinationalen Konzerne in der indischen Landwirtschaft zurückgedrängt werden, fordert Patnaik.
Rund 70 Prozent der etwa 1,2 Milliarden Inder leben auf dem Land. Doch die wenigsten von ihnen, nämlich zwei Prozent, betreiben Öko-Landwirtschaft. Die meisten hantieren noch immer mit krebsauslösenden Pestiziden, vor denen sie sich meist nur ungenügend schützen. Doch langsam wächst das Netzwerk von "Navdanya", zu dem mittlerweile über 50 regionale Saatgutbanken gehören. Mehr als eine Million Farmer sind im Projekt registriert. "Wir brauchen jetzt nur noch Zucker, Salz, Tee und Gewürze zuzukaufen", freut sich Prakash Badomi. Für ihn ist klar: "Uns geht es jetzt viel besser als früher. Gesünder können wir uns nicht ernähren."
Dieter Sell (epd)
-
ARD-Gottesdienst zur Eröffnung der Aktion "Brot für die Welt"
Die 57. Spendenaktion von "Brot für die Welt" wird am 29. November mit einem Adventsgottesdienst in der Marktkirche Hannover eröffnet und von 10-11 Uhr von der ARD übertragen. Beteilgte sind u.a. Landesbischof Ralf Meister, die Präsidentin von "Brot für die Welt", Cornelia Füllkrug-Weitzel, Pastorin Annette Behnken (Wennigsen). Aus Indien ist auch die langjährige "Brot für die Welt"-Partnerin Vandana Shiva dabei. Vizekanzler Sigmar Gabriel wird ein Grußwort sprechen.
-
57. Spendenaktion "Brot für die Welt"
Unter dem Motto "Satt ist nicht genug!" startet das evangelische Hilfswerk am ersten Advent (29. November) seine diesjährige Spendenaktion. Seit 1959 bittet "Brot für die Welt" jährlich zur Adventszeit um Spenden für Hilfsprojekte in Afrika, Asien und Lateinamerika. Traditionell ist die Weihnachtskollekte in evangelischen Gemeinden für "Brot für die Welt" bestimmt.