Liturgie braucht keine Erklärungen

Ein Seminar der EKD und ihrer brasilianischen Partnerkirche erkundet gemeinsame liturgische Formen

23. November 2015

Liturgieseminar Brasilien
Liturgieseminar in der Kirche von Santos (Brasilien). (Foto: Wilhelm Nordmann)

Der Abschlussgottesdienst eines Liturgieseminars, das die Evangelische Kirche in Deutschland (EKD) gemeinsam mit ihrer brasilianischen Partnerkirche Igreja Evangélica de Confissão Luterana no Brasil (IECLB) veranstaltet hat, beginnt vor der Kirche in Santos. Der Ort liegt etwa 80 Kilometer südöstlich von São Paulo, direkt am Meer.

Mit farbigen Tüchern in der Hand stehen alle da. Auf den Tüchern verschiedene Worte: "jung", "alt", "Fragen", "Musik", "Argentinien", "Chile", "Brasilien", "Deutschland", "Theologie", "empirische Forschung", "Diakonie" und viele mehr. Wie die Glieder einer Kette werden die Tücher miteinander verknüpft und symbolisieren die bunte Vielfalt der Teilnehmenden, die bei dem Seminar zusammengekommen ist. Beim feierlichen Einzug in die Kirche wird die Kette zum Taufstein getragen: Die Taufe ist das Band, das alle verbindet – Theologinnen und Theologen aus vier Nationen, einen Musiker, einen Kulturwissenschaftler und drei verschiedene Sprachen.

Musik statt Worte

Der Gottesdienst wurde in Kleingruppen vorbereitet und es fließt alles zusammen, was der Austausch in einer Woche an Früchten getragen hat. Mit Akkordeon, Gitarre, Saxophon, Klavier und Trompete wurden neue Lieder geprobt. Bekannte Lieder bekommen durch die musikalische Gestaltung einen neuen Klang und eine neue Bedeutung, die auf den tieferen Sinn des jeweiligen liturgischen Stückes hinweist. So wird die Osterkerze nach vorne zum Altar getragen, begleitet von monotonem Männergesang: "Dank sei dir, Gott“. Kurz darauf fallen die hellen Frauenstimmen ein, bis alle gemeinsam in den Ruf einstimmen: "Das Licht von Christus, das Licht unsres Herrn“.

Die Musik überwindet die Sprachbarrieren: Einer stimmt ein Taizélied an, das kurz darauf vierstimmig den Kirchenraum füllt. Die Verständigung über die Musik und ohne große Worte weist auf etwas hin, das auch während der Diskussionen in der Gruppe immer wieder zur Sprache kommt: Liturgie könnte in allen Ländern mit viel weniger Worten und vor allen Dingen ohne Erklärungen auskommen.

Auch in anderen Fragen stellten die Teilnehmenden überraschende Übereinstimmungen quer über die Kontinente fest. Was deutsche oder brasilianische Gottesdienstbesucherinnen und -besucher erwarten, unterscheidet sich nicht wesentlich. Dadurch war es gut möglich, gemeinsam auszuloten, welche Wirkungen ein Gottesdienst entfalten und wie eine bewusste Gestaltung darauf eingehen kann.

Gelebte Solidarität

Ein besonderes Augenmerk galt dem Auftreten des Liturgen und der Liturgin: Beim Coaching übten alle, wie sie an ihrer persönlichen Wirkung arbeiten können. Dabei wurde deutlich, dass auf beiden Seiten des Atlantiks die Hände in gewissen Momenten überflüssig zu sein scheinen. Die ersten Lerneffekte lassen sich dann schon beim Abschlussgottesdienst beobachten.

Bewusst wird in diesem Gottesdienst eine Kollekte eingesammelt. Nach einem Vortrag über die enge Zusammengehörigkeit von Diakonie und Liturgie war allen deutlich geworden, dass dem Gottesdienst ohne dieses Element etwas Wesentliches fehlen würde. Gottesdienst als gelebte Solidarität war in der Urgemeinde eine Selbstverständlichkeit und kann auch heute noch so gefeiert werden. Schon bei der Begrüßung vor dem Gottesdienst kann sich diese Solidarität zeigen – oder auch nicht.

Wobei Begrüßung auf Brasilianisch anders ausfällt als auf Deutsch, wie beim Friedensgruß spürbar wird: Statt eines freundlichen Händedrucks gibt es eine herzliche Umarmung mit Kuss. Die brasilianische Herzlichkeit durfte die Gruppe auch in der Gastfreundschaft der Gemeinde erleben, in deren Räumen das Seminar stattfand: Sie ließ es den Gästen an nichts fehlen. Sogar ein Abschiedsgeschenk hatte Gemeindemitglied Roque vorbereitet: Selbst gesammelte Muscheln vom Strand hat er kunstvoll in Stifteköcher verwandelt. Sie sind nicht das einzige Andenken, das die Teilnehmenden wieder in ihre Länder und ihre Gemeinden mitnehmen: Als Multiplikatorinnen und Multiplikatoren werden sie die Impulse des Seminars in die EKD und ihre südamerikanischen Partnerkirchen weitertragen.

Friederike Deeg