Die Evangelische Kirche befasst sich mit den Schattenseiten Luthers

Vor dem 500. Reformationsjubiläum will die EKD-Synode eine Erklärung verabschieden

9. November 2015

Margot Käßmann, Botschafterin des Rates der Evanglischen Kirche in Deutschland für das Reformationsjubiläum 2017
Margot Käßmann, die Botschafterin des Rates der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD) für das Reformationsjubiläum 2017. (Foto: epd-Bild/Norbert Neetz)

Bremen (epd). Mit Blick auf das 500. Reformationsjubiläum im Jahr 2017 wirft die evangelische Kirche einen kritischen Blick auf Martin Luthers Judenfeindschaft. Jahrzehntelang sei der Antijudaismus des Reformators in der evangelischen Kirche kein Thema gewesen, sagte die Botschafterin des Rates der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD) zum Reformationsjubiläum 2017, Margot Käßmann, bei der EKD-Synodentagung in Bremen. Aus ihrer Sicht müsse aber durchaus eine Linie gezogen werden von Luthers Judenfeindschaft bis zum Versagen der evangelischen Kirche in der Zeit des Holocaust.

Die evangelische Kirche erinnert in zwei Jahren an die Veröffentlichung der 95 Thesen durch Martin Luther. Der 31. Oktober 1517 gilt als Ausgangspunkt der weltweiten Reformation. Luthers Judenfeindschaft gilt als große Belastung für die Geschichte der evangelischen Kirche und wird den Schattenseiten im Wirken des Reformators zugerechnet. 1543 erschien Luthers Schrift "Von den Juden und ihren Lügen". Die evangelische Kirche sei "höchst spät dran", wenn sie sich nun von dieser Schrift distanziere, sagte Käßmann.

Jede Form von Judenfeindschaft verworfen

In dem Entwurf zu einer Erklärung, die am 11. November zum Abschluss der Jahrestagung des Kirchenparlaments verabschiedet werden soll, heißt es, auch wenn sich keine einfachen Kontinuitätslinien ziehen ließen, "konnte Luther im 19. und 20. Jahrhundert als Kronzeuge für theologischen und kirchlichen Antijudaismus sowie politischen Antisemitismus in Anspruch genommen werden". Erst nach 1945 sei es zu einem Lernprozess hinsichtlich des Versagens der Kirchen gegenüber dem Judentum gekommen. In der Neubestimmung des Verhältnisses zum Judentum habe die EKD jede Form von Judenfeindschaft verworfen.

Bei der am 8. November in Bremen eröffneten Synodentagung rücken am 10. und 11. November Personalentscheidungen in den Vordergrund. Zunächst werden am 10. November 14 Ratsmitglieder neu gewählt. Synodenpräses Irmgard Schwaetzer gehört dem 15 Mitglieder zählenden Leitungsgremium qua Amt an. Am 11. November fällt die Entscheidung über den Ratsvorsitz. Favorit für den Posten als oberster Repräsentant der 22,5 Millionen deutschen Protestanten ist der bayerische Landesbischof Heinrich Bedford-Strohm, der das Amt vor einem Jahr übernommen hatte.

Auf dem Weg zum Reformationsjubiläum will die evangelische Kirche auch ihre Verankerung in der pluralen Gesellschaft unterstreichen. "Demokratie lernen, einschließlich der Fähigkeit zur Toleranz, ist allen in der Gesellschaft aufgegeben", sagte Rüdiger Sachau, Direktor der Evangelischen Akademie zu Berlin. Christen sollten dafür einstehen, dass die offene Gesellschaft von den Bürgern getragen wird.

"Freiheit zur eigenen Erkenntnis und zum Dienst am Mitmenschen"

Sachau legte der Synode den Entwurf zu einer sogenannten Kundgebung vor. "Der Protestantismus versteht den christlichen Glauben als Religion der Freiheit, einer Freiheit zur eigenen Erkenntnis und zum Dienst am Mitmenschen", heißt es in dem Text mit dem Titel "Reformationsjubiläum 2017 – Christlicher Glaube in offener Gesellschaft". Auch dort wird das christlich-jüdische Verhältnis thematisiert.

"Es gibt einen fortwirkenden Antisemitismus bis in die Mitte unserer Gesellschaft und auch in unserer evangelischen Kirche", sagte Sachau: "Solange in unserem Land 'Jude' als Schimpfwort und Diskriminierungsbegriff verwendet wird; solange Verschwörungstheorien über die Weltmacht der Juden im Internet kursieren, haben wir eine bleibende Aufgabe, vor der wir nicht die Augen verschließen können." Im Kundgebungsentwurf wird die "weitgehende Unfähigkeit des deutschen Protestantismus" verurteilt, sich der "Ausbreitung des Antisemitismus und seiner rassischen Begründungen entgegenzustellen".

epd