"Diese Aussagen Luthers sind völlig inakzeptabel"

Zentralratspräsident Schuster lobt die EKD für ihren Umgang mit dem Antisemitismus des Reformators

7. November 2015

josef schuster
Josef Schuster, seit 2014 Präsident des Zentralrats der Juden. (Foto: epd-bild/Thomas Lohnes)

Das schuldhafte Versagen gegenüber dem Judentum ist eine der Schattenseiten der Reformation. Erst nach der Schoah stellten die Protestanten in Deutschland sich ihrer reformatorischen Schuldgeschichte. Zunächst zögerlich, in den 1980erJahren lebhaft und kontrovers. Mit Ignatz Bubis war 1997 erstmals ein Präsident des Zentralrats der Juden auf einer EKD-Synode zu Gast. 2010 kam auch Charlotte Knobloch in das evangelische Kirchenparlament. In diesem Sommer lobte deren aktueller Nachfolger, Josef Schuster, im epd-Interview den Umgang der EKD mit Luthers kritischer Vergangenheit. Er wird am Sonntag, 8. November bei der Synode in Bremen zu Gast sein.

Herr Schuster, dürfen die Evangelischen angesichts Luthers Antisemitismus guten Gewissens 500 Jahre Reformation feiern?

Josef Schuster: Das Jubiläumsjahr 2017 trägt ja wohlweislich den Namen Reformationsjahr und nicht Lutherjahr. Die Reformation hat für die evangelischen Christen weltweit eine große Bedeutung, sie ist letztlich kirchenstiftend gewesen - und Luther hat sie angestoßen. Dass es in der Spätphase von Luthers Werk aber Aussagen gab, die man nur als antisemitisch bezeichnen kann, ist unzweifelhaft. Wie die Evangelische Kirche in Deutschland (EKD) damit umgeht, ist richtig, weil sie sich auch zu diesem Teil des Luther'schen Wirkens bekennt, indem sie es ablehnt.

Viele unterscheiden zwischen dem frühen teils judenfreundlichen und dem späten antijüdischen Luther - kann man das trennen?

Schuster: Man muss Martin Luther nicht zweiteilen - aber man erkennt eben schnell zwei verschiedene Einstellungen zum Judentum. Der frühe Luther hat sich ja geradezu judenfreundlich geäußert - und das war für die damalige Zeit durchaus besonders. Die Frage ist: Was hat er damit sagen wollen? Das wissen wir nicht und werden es auch nicht erfahren. Klar aber ist, dass die Aussagen des späten Luthers problematisch sind. Aus jüdischer Sicht sowieso, aber auch für die evangelische Kirche.

Es gibt jüdische Stimmen, wonach Luthers Aussagen geradewegs in die Gaskammern geführt hätten. Sehen Sie das auch so?

Schuster: Die kirchlich propagierte Judenfeindschaft hat - sowohl auf katholischer als auch evangelischer Seite - in der Gesellschaft sicher den Nährboden für den Antisemitismus im frühen 20. Jahrhundert bereitet. Aber niemand kann heute mit Bestimmtheit sagen, weshalb so etwas wie die Schoah überhaupt möglich werden konnte. Dass durch die Kirchen antijüdische Ressentiments geschürt wurden, die dann von den Nazis für ihre Zwecke genutzt wurden, ist unzweifelhaft.

Fakt jedenfalls ist, dass Luther in "Von den Juden und ihren Lügen" zum Anzünden von Synagogen aufgerufen hat...

Schuster: ... und das kann man nicht einfach wegdiskutieren. Mein Eindruck ist, dass die EKD das aber auch nicht tut. Der Ratsvorsitzende und bayerische Landesbischof Heinrich Bedford-Strohm hat mehrfach in öffentlichen Statements und auch in persönlichen Gesprächen mit mir sehr klar zu Ausdruck gebracht, dass diese Aussagen und Thesen Luthers völlig inakzeptabel waren und sind. Und so wie ich den Rat der EKD verstanden habe, wird es seitens der Kirchen dazu auch eine Stellungnahme im Reformationsjahr geben.

Die "Deutschen Christen" haben sich auf Luthers Antisemitismus berufen. Was muss da noch alles an Aufarbeitung geschehen?

Schuster: Aufarbeitung ist immer gut, keine Frage. Aber wir müssen jetzt zum Reformationsjahr auch nicht jede Facette dessen, was es in der NS-Zeit an antisemitischen Äußerungen, Handlungen, Taten oder Überlegungen innerhalb der evangelischen Kirche gab, im Detail öffentlich herausarbeiten und darstellen. Klar ist für mich aber auch: Wenn sich zum Beispiel herausstellt, dass Amts- und Würdenträger - Laien wie Hauptamtliche - aktiv zum Beispiel im "Entjudungsinstitut" der "Deutschen Christen" mitgearbeitet haben, dann erwarte ich von der evangelischen Kirche, dass zu diesem Thema ein Wort der Verantwortung und der Entschuldigung kommt.

Ist Luthers Antisemitismus dafür verantwortlich, dass gerade in evangelischen Regionen die NS-Ideologie so schnell Fuß gefasst hat?

Schuster: Das müsste wohl besser ein Soziologe beantworten - aber Fakt ist, dass sich gerade in den evangelisch geprägten Regionen die NS-Ideologie potenziell leichter und schneller ausgebreitet hat. Ob das mit Luthers antisemitischen Ausfällen zusammenhängt, weiß ich nicht.

Wie finden Sie es, dass sich die Kirche erst 70 Jahre nach Ende des Krieges aktiv öffentlich mit Luthers Antisemitismus auseinandersetzt?

Schuster: Die Kirchen sind in diesem Punkt nicht besser oder schlechter als andere gesellschaftliche Gruppierungen und Strukturen. Ähnliches kann man auch in wissenschaftlichen Verbänden oder Organisationen beobachten - die Auseinandersetzung mit den Geschehnissen der NS-Zeit hat fast überall erst in den vergangenen Jahren begonnen. Grund dafür ist aus meiner Sicht, dass erst einmal die Zeit verstreichen musste, bis ein Großteil der Tätergeneration nicht mehr unter uns ist. Es bestand bei vielen die Sorge, eigene Angehörige, Vertreter des Berufsstandes oder Kirchenangehörige zu Lebzeiten mit ihrer Rolle zu konfrontieren.

Es gab im 18. und 19. Jahrhundert viele deutsche Juden, etwa Heinrich Heine, die Luther regelrecht verehrt haben. Wie das?

Schuster: Heinrich Heine ist später selbst zum Christentum konvertiert - er ist jetzt sicher kein Paradebeispiel. Es stimmt schon, es gab Juden, die diesen späten Luther ausgeblendet haben - aber das war sicherlich eine Minderheit. Ich denke, es war in gewisser Weise auch ein Versuch der jüdischen Mitbürger, mehr Anerkennung in dieser Zeit zu erhalten. Ein Versuch, der kläglich gescheitert ist, wie man heute weiß.

Sie erwarten eine Abgrenzung der Amtskirchen zu evangelikalen Christen. Warum? Wegen deren Unterstützung der Judenmission?

Schuster: Ja, genau. Ich erwarte, dass sich die Evangelische Kirche in Deutschland und ihre Gliedkirchen deutlich so positionieren, dass sie ihren christlichen Missionierungsauftrag nicht gegenüber den Juden sehen. Und zwar nicht nur wegen der deutschen Geschichte, sondern vor allem wegen der jüdischen Wurzeln des Christentums.

Viele Evangelikale suchen auch die Nähe zu messianischen Juden. Hier fordern Sie ebenfalls eine klare Abgrenzung – warum?

Schuster: Weil messianische Juden unter falscher Flagge segeln. Es gibt natürlich etliche verschiedene Ausprägungen des Judentums und auch des Christentums. Aber alle Christen sehen Jesus als Erlöser - und wir Juden nicht. Das ist der Unterschied, das sollte man akzeptieren. Wer damit nun recht hat, das wissen beide Seiten nicht. Aber es lässt sich klar unterscheiden, wer zu wem gehört. Fakt ist für mich: Wer an Jesus als Erlöser glaubt, der soll sich dann auch zum Christentum bekennen.

Sie erwarten demnach auch, dass die messianischen Juden - wie bei Kirchentagen - keine Plattform beim Reformationsjubiläum finden?

Schuster: Ja, das wäre meiner Meinung nach richtig und wichtig. Denn die sogenannten messianischen Juden versuchen unter dem Deckmantel des Judentums Juden zum christlichen Glauben zu bekehren.

Daniel Staffen-Quandt (epd)


Dr. Josef Schuster wurde am 30. November 2014 zum Präsidenten des Zentralrats der Juden in Deutschland gewählt. Zugleich ist er seitdem Vizepräsident des World Jewish Congress. Seit 1998 ist Dr. Schuster Vorsitzender der Israelitischen Kultusgemeinde Würzburg und Unterfranken. Seit 1999 ist er Mitglied des Präsidiums des Zentralrats der Juden und war von 2010 bis 2014 Vizepräsident des Zentralrats. Außerdem steht Dr. Schuster seit 2002 als Präsident dem Landesverband der Israelitischen Kultusgemeinden in Bayern vor. Er ist verheiratet und hat zwei erwachsene Kinder.


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