Letzter Ausweg Europa

EKD-Ratsvorsitzender Heinrich Bedford-Strohm besucht mit Diakonie-Präsidentin Cornelia Füllkrug-Weitzel Hilfsprojekte in Ungarn

14. September 2015

Heinrich Bedford-Strohm, Cornelia Füllkrug-Weitzel und Gregely Pröhle von der ev.-luth. Kirche in Ungarn und Leiter des Camps in Biscke. Foto: Christoph Püschner/Diakonie Katastrophenhilfe
Heinrich Bedford-Strohm, Cornelia Füllkrug-Weitzel und Gregely Pröhle von der ev.-luth. Kirche in Ungarn und Leiter des Camps in Biscke. (Foto: Christoph Püschner/Diakonie Katastrophenhilfe)

Budapest, Keleti-Bahnhof: Oben spätsommerliche Jugendstilpracht und unten in den Gängen zur U-Bahn die blanke Not. Mohamed (Name auf Wunsch geändert) aus Syrien zieht seine nassen Schuhe aus – gestern und vorgestern hat es auf seiner Flucht geregnet – und streift die zerrissenen Socken ab. Seine Füße sind nass, käseweiß und aufgedunsen, die Laufsohlen rissig und entzündet. Drei Monate ist er schon unterwegs. Er wir die schmerzenden Füße wieder in die nassen Schuhe zwingen, sobald es heißt, es fahre wieder ein Zug Richtung Österreich. Dann stürmen alle in Richtung Treppe.

Bedrückend und unwürdig

Röszke, wildes Lager an der Bahnstrecke nach Serbien: Rana (Name auf Wunsch geändert) setzt sich einen Moment auf die Schienen und ruht aus. Ihr zwei Monate alter Sohn ist unruhig. Aber sie hat keine Zeit ihn zu beruhigen. Ihre Gruppe will weiter. Wer weiß, wann es hier noch Busse gibt, nachdem sie durch die letzte Lücke geschlüpft sind, die der Grenzzaun noch bietet. Soll man ihr sagen, dass Deutschland wieder Grenzkontrollen eingeführt hat?  Die Hoffnung nehmen?

“Die Situation ist bedrückend und menschenunwürdig“, sagt Cornelia Füllkrug–Weitzel, Präsidentin von der Diakonie Katastrophenhilfe nach dem Gespräch mit der jungen Mutter. Den ganzen Tag über besucht sie mit Heinrich Bedford-Strohm und den kirchlichen Partnern aus Ungarn, Orte an denen sich Flüchtlinge sammeln. Und immer ist es ein wenig chaotisch, immer ändert sich alles ganz schnell. Die Menschen aus Syrien, Afghanistan und dem Irak spüren, dass Europa die Tore dicht macht. Sie sind gehetzt, immer wieder gibt es neue Gerüchte, bilden sich in Minutenschnelle kilometerlange Schlangen, wenn es heißt, es kommt ein Transport, es geht  weiter raus aus Ungarn.

Warnung vor Dänemark

Information ist alles. So warnen im Keleti-Bahnhof Schilder vor der Reise nach Dänemark und empfehlen Schweden. Andere Schilder warnen davor in Schlepper-LKWs und Busse einzusteigen und zeigen die offiziellen Taxis. Büschelweise werden Fahrkarten angeboten, die aus Spenden stammen. Wenn denn Züge fahren

“Das macht die Hilfe so herausfordernd. Wo sammeln sich die Flüchtlinge heute, welche Route nehmen sie und wie können wir sie am besten, mit was in ihrer schwierigen Lage unterstützen. Das müssen wir uns jeden Tag neu fragen“, sagt Dr. Klara Tarr Cselovsky von der Ev.-Luth-Kirche Ungarns. So gibt es im Lager Bicske sogar eine Kinderbetreuung mit Bastelstunde zwischen gepflegten Beeten und Flachbauten. Aber die Flüchtlinge sind weiter gezogen. Nur ein paar dutzend Menschen sind in Bicske geblieben, darunter viele Afrikaner, berichtet der Leiter des Lagers. Heinrich Bedford-Strohm zeigte sich im Gespräch mit der Lagerleitung besonders daran interessiert, welche Perspektive Flüchtlinge in Ungarn hätten, ob sie Arbeit fänden, wie diese bezahlt sei, etc.

“Heimatflucht“ und “Grenzgänger“

Im krassen Gegensatz zu den geordneten, wenn auch menschenleeren Unterkünften in Bicske steht das wilde Lager an der Bahnstrecke nach Serbien in der Nähe von Röszke. Wo gestern noch ein Acker war, stehen heute Hunderte an Zelten, an der kleinen Straße haben sich die Hilfsorganisationen aufgereiht. Auch die Protestanten aus Ungarn verteilen Wasser und Saft, Nahrung und Decken, sie haben Toiletten aufgestellt. Bis Dienstag soll der Zaun nach Serbien komplett geschlossen sein. “Es wird neue Wege und Routen geben, wer es bis hierher geschafft hat, lässt sich nicht durch einen Zaun aufhalten“, sagt Cornelia Füllkrug-Weitzel. Von der Entschlossenheit der Flüchtlinge berichtet auch Hanna Pool, die Urdu spricht und mit ihrem Freund Felix Volkmar, Flüchtlinge ehrenamtlich seit Griechenland begleitet und nun auch noch durch den Zaun schlüpfte. In der WhatsApp-Gruppe #Grenzgänger berichtet sie regelmäßig über ihre Erlebnisse. Auch Luca Burghardt und Arne Brüning werden viel zu erzählen haben. Die beiden jungen Männer aus Bielefeld haben ihre Radtour unter dem Motto Heimatflucht (www.heimatflucht.de) in Röszke unterbrochen, um gemeinsam mit den Ungarn zu helfen. An Engagement fehlt es ihnen nicht, aber wie so vielen Helferinnen und Helfern an Schlaf.

Was die Wiedereinführung von Grenzkontrollen an deutschen Grenzen am Abend für die Flüchtlingsströme in Ungarn für Folgen haben werden, kann noch keiner sagen. Aber Hanna Pool berichtet, das noch Tausende auf dem Weg von Griechenland durch den Westbalkan sind – immer auf der Suche nach einer neuen friedlichen Heimat.

Svenja Koch (Brot für die Welt)