Flüchtlingsdrama im Mittelmeer

Deutsche Seemannsmission und Militärseelsorge unterstützen die Rettungseinsätze

11. August 2015

Fluechtlinge an Bord der Fregatte "Hessen" bei der Ankunft im Hafen von Palermo
Flüchtlinge an Bord der Fregatte "Hessen" bei der Ankunft im Hafen von Palermo. (Foto: epd-bild/ Agenzia Romano Siciliani)

"Wie ein Großunglück, das sich immer wiederholt", so beschreibt der evangelische Marineseelsorger Ekkehart Woykos die Erlebnisse der Bundeswehrsoldaten, die im Mittelmeer zur Rettung von Flüchtlingen im Einsatz sind. Auch Seeleute auf Handelsschiffen werden mitunter traumatisiert, wenn sie auf ihren Routen Flüchtlingsbooten in Seenot begegnen. Militär-Seelsorger und die Seemannsmission stehen den Seeleuten zur Seite.

Denn die Rettung von Flüchtlingen im Mittelmeer ist für die Soldaten der Bundeswehr nach Einschätzung eines Marinepfarrers eine hohe Belastung. "Die Soldaten wissen ja nicht, was auf sie zukommt. Das bringt viel Unsicherheit", sagte der evangelische Marineseelsorger Ekkehart Woykos dem Evangelischen Pressedienst (epd). Für die Schiffsbesatzungen sei es eine Herausforderung, die Einsätze kräftemäßig und emotional durchzuhalten.

Einsätze wie bei Massenkarambolagen oder Zugunglücken

Die Hilfeleistung auf See gehöre zwar zur Ausbildung eines Seemanns, erläuterte Woykos. Doch mit Katastrophen in diesem Ausmaß hätten die Truppen erst jetzt im Mittelmeer erste Erfahrungen gesammelt. Seelsorgern seien ähnliche Einsätze nur von Massenkarambolagen oder Zugunglücken bekannt.

Woykos lobte das Engagement der Soldaten, die die Situation trotz der Belastung "hochprofessionell" bewältigten. Der Theologe begleitete die Mannschaft der Fregatte "Hessen", die bei ihrem fünfwöchigen Einsatz vor der libyschen Küste mehr als 2.500 Menschen vor dem Ertrinken rettete und in italienischen Häfen absetzte. Die Schiffe "Hessen" und "Berlin" waren Anfang Mai kurzfristig von einem anderen Einsatz abgezogen worden, um die Seenotrettung im Mittelmeer zu unterstützen.

Als Seelsorger biete er Soldaten die Gelegenheit, ihre Erfahrungen zu verarbeiten, sagte Woykos. Diese kümmerten sich stundenlang um die Flüchtlinge. Da sei es gut, dass sich auch jemand um sie kümmere. Besondere Herausforderungen für die Soldaten stellten auch die langen Einsatzzeiten von bis zu fünfeinhalb Monaten und die fehlende Privatsphäre der 250-köpfigen Besatzung dar. Die meisten Soldaten hätten keine eigenen Kabinen und seien zu mehreren auf wenigen Quadratmetern untergebracht, sagte Woykos. "Es gibt kaum Rückzugsmöglichkeiten. Dass es da mal zu Konflikten kommt, ist normal."

Das Gefühl: "Wir retten Leben!“ motiviert

Dennoch gebe es einen engen Zusammenhalt an Bord der "Hessen", berichtete der Marinepfarrer. "Insbesondere die Rettung von Kindern gibt den Soldaten das Gefühl: Wir retten Leben! Das motiviert." Die Geretteten zeigten den Soldaten zudem viel Dankbarkeit.

Seit Juni sind die Bundeswehr-Schiffe "Schleswig-Holstein" und "Werra" im Einsatz vor der libyschen Küste. Nach Bundeswehrangaben retteten deutsche Marinekräfte seit Mai bereits über 6.000 Flüchtlinge.

Handelsschiffe sind dagegen nicht mit der Rettung von Flüchtlingen beauftragt, aber gleichwohl verpflichtet, wenn sie auf ihren Routen einem Flüchtlingsboot begegnen. Daher belastet das Flüchtlingsdrama im Mittelmeer nach Beobachtungen der Deutschen Seemannsmission viele Seeleute auf den dort fahrenden Handelsschiffen sehr - bis zur Berufsaufgabe. "In unseren Stationen, in Mails und am Telefon häufen sich die Gespräche, in denen Seeleute etwas loswerden wollen", sagte Generalsekretärin Heike Proske in Bremen dem Evangelischen Pressedienst (epd). Wenn sie einem Flüchtlingsboot begegneten und nicht alle Menschen retten könnten oder Leichen im Wasser treiben sähen, wüssten sie oft nicht, mit wem sie darüber reden könnten. "Die Familien wollen sie nicht belasten, Kapitäne und Reeder haben dafür meist kein Ohr."

Rettungsaktionen haben Priorität vor dem Fahrplan

Anders ist das Proske zufolge speziell bei nordeuropäischen Reedereien aus Deutschland, den Niederlanden und Norwegen, die nicht darauf bestehen, Fahrpläne einzuhalten. Sie setzten eine notwendige Rettungsaktion an die erste Stelle und unterstützten die Seeleute besser. Nach Artikel 98 des UN-Seerechtsübereinkommens sind Handelsschiffe verpflichtet, in Seenot geratenen Flüchtlingen zu helfen.

Die evangelische Theologin berichtete von einer Initiative der norwegischen Regierung, die unabhängig von der "Triton"-Rettungsaktion der EU ein Offshore-Schiff umgerüstet und ins Mittelmeer geschickt hat. "Es wäre wünschenswert, wenn die Bundesregierung auch in diese Richtung geht."

Unter Federführung des Zentralinstitutes für Maritime Medizin in Hamburg und in Kooperation mit der Seemannsmission werde gerade erfragt, welche Unterstützung sich Seeleute im Umgang mit dem Flüchtlingsdrama wünschten - "vor allem in der Prävention". Das reiche von Ausrüstungsfragen wie Schwimmwesten über Nahrungsvorräte an Bord bis zu einem Sicherheitsoffizier oder medizinischen Schutzmaßnahmen etwa gegen Tuberkulose.

"Nicht mehr über Kinderrucksäcke fahren"

Nicht jeder Seemann sei traumatisiert, wenn er Belastendes erlebt habe, stellte Proske klar. Aber es gebe auch Seeleute, die aufgrund des Flüchtlingsdramas aus ihrem Job ausgestiegen seien. So hat sie selbst Kontakt zu einem 52-jährigen Belgier, der sich nun als Lotse bewerben will: "Er hat mir gesagt, er will nicht mehr über Kinderrucksäcke fahren."

Nicht nur in ihren Stationen etwa am Mittelmeer in Alexandria, Genua und Piräus versucht die Deutsche Seemannsmission, verzweifelten Seeleuten psychisch zur Seite zu stehen. "Wir hören zu, wir machen Gesprächsangebote, damit sich die Männer ihre Last wenigstens teilweise von der Seele reden können", erläuterte Proske. Damit sich die Situation verändere, sei aber in erster Linie die Politik gefragt. So müsse die EU-Rettungsmission "Triton" bis vor die libysche und türkische Küste ausgedehnt werden. Zur Deutschen Seemannsmission gehört ein weltweites Netz mit jeweils 16 Stationen im In- und Ausland.

Philipp Beng (epd)/Dieter Sell (epd)/ekd.de