Berufsziel Pfarramt – Prognose: Sehr gut

Interview zu Voraussetzungen und Chancen für die theologische Ausbildung mit Pfarrerin Dagmar Kelle

01. August 2015

Theologiestudierende
Studentinnen der evangelischen Theologie probieren Talar und Beffchen an. (Foto: epd-bild/Timm Schamberger)

Pfarrerin oder Pfarrer – ein Beruf wie jeder andere? Sicher nicht, im Gegenteil: Schon das Studium ist besonders vielfältig – und besonders lang. Man ist dabei auch als Person besonders gefragt. Und man hat besonders gute Job-Chancen als Theologin oder Theologe. Pfarrerin Dagmar Kelle, Theologische Referentin und stellvertretende Abteilungsleiterin in der Ausbildungsabteilung im Konsistorium der Evangelischen Kirche Berlin-Brandenburg-schlesische Oberlausitz, erklärt Einzelheiten zum Theologiestudium und zur Ausbildung fürs Pfarramt.

Welche Voraussetzungen sollte man mitbringen für ein Theologiestudium – kann das jeder und jede machen?

Dagmar Kelle: Grundsätzlich gilt erst einmal: ja! Alle, die ihr Abitur in der Tasche haben, können sich an einer Universität oder Kirchlichen Hochschule für den Studiengang Evangelische Theologie einschreiben. In der Regel ist der Studiengang sogar ohne Aufnahmebeschränkung, das heißt: NC-frei. Studieninteressierte sollten neugierig sein auf theologische und philosophische Themen: Wo komme ich her? Wo gehe ich hin? Was ist der Mensch? Was darf ich hoffen?
Das Besondere am Theologiestudium ist, dass der Gegenstand des Studiums nicht von der eigenen Person zu trennen ist. Fragen nach Gott und der Welt lässt sich nicht ausweichen. Wer nach einer Antwort auf diese Fragen sucht, ist mit der eigenen Person und Geschichte selbst einbezogen. Die Theologie fordert somit den eigenen Verstand und den eigenen Glauben gleichermaßen heraus. Da der christliche Glaube in unserer Gesellschaft heute umstritten ist, sollte man das Gespräch mit Andersdenkenden und -glaubenden nicht scheuen. Es wird kaum eine WG-Party oder Familienfeier vergehen, auf der Theologiestudierende nicht auf ihr Studienfach, kirchengeschichtliche oder kirchenpolitische Ereignisse angesprochen werden.

Wie sieht der Weg ins Pfarramt aus? Welche Ausbildungsschritte gehören dazu und wo kann man studieren?

Kelle: Zum Weg ins Pfarramt gehören das Theologiestudium und eine zweite Ausbildungsphase – das sogenannte Vikariat – in Kirchengemeinde und Schule. Theologie studieren lässt sich in 21 Hochschulstädten in ganz Deutschland von Kiel bis München und von Wuppertal bis Berlin. Eine interaktive Karte findet sich dazu auf http://www.ekd.de/theologiestudium/studium/studienorte.html. Die zweite Ausbildungsphase ähnelt einem Referendariat für das Lehramt oder auch für Juristinnen und Juristen. Es bereitet praxisorientiert auf den späteren Beruf vor. Beide Ausbildungsphasen werden mit einem Theologischen Examen abgeschlossen.

Wie lange dauert das ungefähr?

Kelle: Vom ersten Semester an der Uni bis zum Antritt der ersten Pfarrstelle vergehen meistens doch acht bis zehn Jahre. Das ist eine wirklich lange Zeit; dem steht eine intensive und vielseitige Ausbildung gegenüber. Die Regelstudienzeit beträgt zehn Semester. Für die erforderlichen Sprachkenntnisse in Griechisch, Hebräisch und Latein werden bis zu zwei weitere Semester anerkannt. Das anschließende Vikariat dauert in allen Landeskirchen noch einmal ungefähr zwei Jahre, in der Evangelischen Kirche Berlin-Brandenburg-schlesische Oberlausitz (EKBO) sind es zum Beispiel 28 Monate.

Womit beschäftigt man sich in einem Theologiestudium – außer mit der Bibel?

Kelle: Klar, erst einmal ist die Theologie diejenige Wissenschaft, die daran arbeitet, das Evangelium von Jesus Christus und die biblischen Bücher zu verstehen. Sie ist die Wissenschaft vom Glauben, das heißt sie argumentiert logisch und historisch-kritisch nachvollziehbar. Dabei vermittelt ein Theologiestudium eine umfangreiche geisteswissenschaftliche Bildung und ein hohes Maß an Allgemeinbildung.
Etwas Besonderes ist das Theologiestudium in der heutigen Studienlandschaft, weil es sich weiterhin nach eigenen Schwerpunkten gestalten lässt und Studierende in besonderer Weise eigenen Studieninteressen nachgehen können. Dabei sind sie beständig im Gespräch mit anderen Wissenschaften wie etwa der Philosophie, der Psychologie, der Soziologie und anderen Humanwissenschaften.
In den Berufspraktika, die zum Studium gehören, begegnen Theologiestudierende dann zum ersten Mal auch sehr dichten pastoralen Situationen. Es kann sein, dass sie dabei Pfarrerinnen oder Pfarrer an das Bett eines Kranken oder Sterbenden begleiten. Sie legen vielleicht zum ersten Mal die Bibel in einer Gemeindeveranstaltung aus und erleben einen Pfarrer oder eine Pfarrerin und deren Familien aus nächster Nähe. Das sind für die meisten Studierenden prägende Erfahrungen, die auch die Entscheidung für den späteren Beruf beeinflussen.

Was bedeutet es, das Studium mit der Ersten Theologischen Prüfung einer Gliedkirche der EKD abzuschließen? Was ist der Unterschied zu einem Universitätsexamen?

Kelle: Was den wissenschaftlichen Anspruch des Studiums und die abschließende Prüfung angeht, unterscheidet sich das kirchliche Examen nicht von einem Fakultätsexamen. Es sind in vielen Fällen, wie hier in Berlin, sogar die gleichen Hochschullehrenden, die prüfen. Mit dem Ablegen des kirchlichen Examens bringen die Studierenden zum Ausdruck, dass sie sich einen anschließenden Berufsweg im Dienst der Kirche gut vorstellen können. Mit einem Fakultätsexamen ist der Weg ins Pfarramt ebenfalls möglich, bleibt aber ein Sonderweg. Mit anderen Worten, mit einem kirchlichen Examen haben Absolventinnen und Absolventen alle Optionen, als Theologin oder Theologe in der Kirche und in der Diakonie oder in einem anderen Bereich der Gesellschaft beruflich tätig zu werden.

Was kann man mit einem Theologiestudium noch machen – außer Pfarrerin oder Pfarrer zu werden?

Kelle: Wie mit jedem erfolgreich abgeschlossenen Hochschulstudium kann man auch mit einem Theologiestudium eine ganze Menge machen. Der zweite klassische Beruf neben dem Pfarrberuf für Theologinnen und Theologen ist der Lehrberuf in der Schule oder an einer Hochschule. Darüber hinaus sind Theologinnen und Theologen in sozialdiakonischen Unternehmen, in Seelsorge und Beratungsstellen, Politik und gemeinnützigen Einrichtungen tätig. Der Unterschied zu früheren Jahren ist, dass Absolventinnen und Absolventen heute die Wahlfreiheit haben, in welchem kirchlichen oder gesellschaftlichen Bereich sie tätig werden wollen; denn nach aktuellen Prognosen sind die Berufsperspektiven innerhalb der evangelischen Kirche sehr gut.

Wie kann man sich ein Vikariat vorstellen?

Kelle: Das Vikariat ist die zweite und praktisch orientierte Ausbildungsphase auf dem Weg in den Pfarrberuf. Die 28 Monate, die eine solche Zeit beispielsweise in der Evangelischen Kirche Berlin-Brandenburg-schlesische Oberlausitz (EKBO) dauert, sind in die Phasen des religionspädagogischen Vikariats an der Schule, des Gemeindevikariats, der Ausbildungskurse im Predigerseminar Wittenberg sowie der Seelsorgeausbildung gegliedert.
Das Ziel des Vikariats ist es, Kenntnisse, Einsichten und Fertigkeiten zu gewinnen, um ein Pfarramt professionell führen zu können. Das Vikariat vertieft dabei die im Studium gewonnenen Einsichten und überführt sie in die Praxis. Die Vikarinnen und Vikare lernen im Rahmen der Ausbildung auch, sich selbst, die anfallenden Aufgaben und die dafür zur Verfügung stehende Zeit möglichst gut zu organisieren.

Welche Rolle spielt der persönliche Glaube für ein Theologiestudium?

Kelle: Der persönliche Glaube ist zwar keine Voraussetzung für ein Theologiestudium. Gleichzeitig ist der Pfarrberuf, für den das Studium wissenschaftlich qualifiziert, ein geistlicher Beruf. Sein Kernanliegen ist es, das Evangelium von Jesus Christus und die Botschaft der Liebe und Versöhnung Gottes in die Welt zu tragen, und den christlichen Glauben gemeinsam mit anderen zu leben und zu gestalten. So bieten sich bereits in der Studienzeit viele Möglichkeiten, das wissenschaftliche Arbeiten mit dem persönlichen Glauben zu verbinden. Hier spielt auch das gemeinschaftliche Leben der Studierendenkonvente der Landeskirchen eine wichtige Rolle. Meine Empfehlung ist es, den gemeinsamen Weg mit einer Landeskirche möglich frühzeitig einzuschlagen. Hier stehen die Ausbildungsreferate der Landeskirchen allen Studierenden mit Rat und Tat zur Seite.

Wie stehen die Chancen, als Theologe oder Theologin einen Job zu bekommen?

Kelle: Die Chancen stehen in den evangelischen Kirchen in Deutschland ausgesprochen gut. Allein in unserer Landeskirche mit den Sprengeln Berlin, Potsdam und Görlitz wird aufgrund der Altersstruktur innerhalb des nächsten Jahrzehnts jede fünfte Pfarrerin bzw. jeder fünfte Pfarrer in den Ruhestand gehen. In den 19 anderen Landeskirchen in Deutschland sieht es ähnlich aus.
Theologie zu studieren und zum Beruf zu machen ist gewiss nicht jedermanns Sache. Wer sich aber für den Weg ins Pfarramt entscheidet, den erwartet ein vielseitiger und abwechslungsreicher Beruf. Kaum ein Arbeitstag gleicht dem anderen, und evangelische Pfarrerinnen und Pfarrer können viele eigene Akzente setzen. Der Beruf braucht und bietet Vielfalt, Freiheit und Verantwortung. Ich würde mich immer wieder für ein Theologiestudium und den Beruf der Pfarrerin entscheiden!

Dagmar Kelle


Dagmar Kelle hat in der Evangelischen Kirche Berlin-Brandenburg-schlesische Oberlausitz (EKBO) eine landeskirchliche Pfarrstelle inne.

Sie arbeitet als Theologische Referentin und stellvertretende Abteilungsleiterin in der Abteilung für Theologische Aus-, Fort- und Weiterbildung im Konsistorium der EKBO in Berlin. Zu ihren Aufgaben gehört die landeskirchliche Begleitung der Theologiestudierenden und die Nachwuchsförderung für den ordinierten Dienst.