Vom Pilgerweg bis zur Radwegkirche

Religion als Tourismus-Trend

11. Juli 2015

Pilgerweg
Foto: epd-bild / Heiner Heine

Frankfurt a.M. (epd). Pilgerreise auf dem Jakobsweg oder Urlaub im Kloster – vor Überlastung, Alltagsstress und persönlichen Problemen fliehen Urlauber nicht mehr nur in Wellness-Zentren oder an den Strand. Seit den 90er Jahren steigt die Nachfrage nach spirituellen Freizeitangeboten kontinuierlich an. Egal, ob Yoga im indischen Ashram oder christliche Tradition: Im Alltag steigen die Kirchenaustrittszahlen, im Urlaub boomt die Spiritualität.

In der Freizeit hätten viele Menschen eine höhere Bereitschaft, sich spirituell ansprechen zu lassen, sagt auch die evangelische Oberkirchenrätin und Referentin für Citykirchenarbeit, Inken Richter-Rethwisch: "Die Menschen müssen gucken, wo sie in ihrem Alltag überhaupt noch Zeit für ihre religiösen Bedürfnisse haben."

Kirchen bieten vielfältige Angebote für Reisende

Auch die über 200 Radwegekirchen, die die Evangelische Kirche in Deutschland (EKD) seit einigen Jahren aufbaut, spiegeln diese Entwicklung wider. Die Angebote der Radwegekirchen reichen von der geöffneten Kirchentür bis hin zu kurzen Andachten im Kirchenraum. Daneben garantieren sie einen geeigneten Platz für die Rast, Toiletten und Informationen zur Ortsgemeinde. Radwegekirchen sind mindestens im Zeitraum von Ostern bis zum Reformationstag frei zugänglich. Zu erkennen sind sie an einem grünen Signet, das seit 2009 von der EKD verliehen wird. "Radwegekirchen sind Orte der kirchlichen Gastfreundschaft. Allein durch ihre geöffneten Türen signalisieren sie eine Willkommenskultur. Darüber hinaus erfüllen sie auch seelsorgerliche und verkündigende Funktionen und sind als Orte des Gemeindeaufbaus und der Imagepflege zu sehen", sagte der Leiter des Zentrums für Qualität im Gottesdienst, Folkert Fendler, während eines Vorttrags im Mai mit dem Titel "Können Kirchenbesucher Kunden sein?".

Die Gemeinden bieten Reisesegen, Gebete und Lieder für unterwegs an. Dafür müsse die Mentalität der Gemeinden von Offenheit geprägt sein und Einflüsse von Besuchern zulassen, sagt Richter-Rethwisch: "Der Tourismus könnte eine erfrischende Wiederbelebung der Gemeinden bedeuten."

Pilgerwege werden immer beliebter

Zum 500. Reformationsjubiläum 2017 plant die EKD viele weitere touristische Angebote. Unter anderem Pilgerwege und einen Europäischen Stationenweg, der 500 Jahre nach der Reformation Menschen in Europa miteinander verbinden soll. Er wird durch 18 Länder gehen – dabei sind beispielsweise Italien, England, Finnland und Polen. Insgesamt werden sich 67 Orte an dem Reformationsweg beteiligen. In Deutschland werden nach jetzigem Stand 13 Bundesländer und 20 Landeskirchen angesteuert.

Auch andernorts boomt der spirituelle Tourismus: Während sich 1990 knapp 5.000 Pilger auf dem Jakobsweg registrieren ließen, wurden im Jahr 2014 rund 237.000 Menschen gezählt.

Ruhe im Kloster gesucht

Auch Klöster verzeichnen nach Angaben der Deutschen Ordensobernkonferenz steigende Besucherzahlen. Unter den Gästen sind viele Berufstätige, die im Alltag unter großem Druck stehen. Am Klosterleben schätzen sie vor allem die Ruhe und Abgeschiedenheit. "Zum ersten Mal seit Jahren ein Ort, an dem ich nicht reden musste, wo mich keiner ansprach", sagt Managerin Monika Petereit. Vor zwei Jahren verbrachte sie eine Woche im Auszeithaus des Klosters Reute in Oberschwaben.

Nun plant sie eine weitere Auszeit. "Ich war total überlastet und hatte Probleme abzuschalten", sagt Petereit. Im Kloster habe es kein Programm gegeben. "Du bist allein mit dir", erzählt die Managerin. Durch Spaziergänge im Klostergarten, die Gottesdienste und Gespräche mit den Schwestern habe sie gelernt, wieder ruhiger zu werden und auf ihr Bauchgefühl zu hören.

Tourismus als Chance für die Kirchen

Für viele seien die Kirchen als Institutionen zu altmodisch, vermutet Betriebswirtin Aline Sommer. Aber es gebe ein Bedürfnis nach spiritueller Einkehr und Besinnung. Seit 2006 informiert Sommer auf ihrem Internetportal über Klosteraufenthalte, Yogakurse und Pilgerreisen. "Der Tourismus ist eine riesengroße Chance, um wieder mehr Menschen für die Kirchen zu begeistern", glaubt Sommer.

Beim Klosterurlaub scheint es nicht um eine konfessionelle Religiosität, sondern eher um eine Auszeit vom Alltagstrubel zu gehen. 42 Prozent der Klosterurlauber suchen nach Erholung, 27 Prozent nach geistlichen Erfahrungen, geht aus einer Umfrage des Zusammenschlusses deutscher Orden Katholiken hervor.

Dass die Kirchen immer weniger Bedeutung im Alltag vieler Menschen haben und dafür mehr Platz im Freizeit- und Tourismusbereich einnehmen, sieht Richter-Rethwisch nicht als negative Entwicklung. Sie prognostiziert, dass das Verständnis von Gemeinden sich in Zukunft verändern wird. Das Modell "Gemeinde auf Zeit" werde mehr Platz einnehmen.

Nora Frerichmann (epd)/ekd.de