Andachtsimpuls "7 Wochen Ohne" - Jeder Mensch ist viel mehr, als er hat

EKD-Ratsvorsitzender Heinrich Bedford-Strohm zu 1. Korinther 12,7-11

11. März 2015

Heinrich Bedford-Strohm, Ratsvorsitzender der EKD
Foto: epd-Bild/Michael McKee

“Als Pionier der Schönheitschirurgie beobachte ich in den letzten 30 Jahren einen bemerkenswerten Trend. Die Patienten werden immer jünger. Sie werden durch Print- und TV-Medien in der Form berieselt, dass man mit gutem Aussehen beruflich und privat erfolgreicher sein kann. Äußerlichkeiten, gutes Aussehen und materielle Dinge gewinnen zunehmend an Bedeutung.“ So schrieb kürzlich ein sehr bekannter Schönheitschirurg. Ganz offensichtlich wird das Gefühl, bestimmte äußere Normen erfüllen zu müssen, um in der Gesellschaft etwas zu gelten, stärker und bestimmt zunehmend das Leben des Einzelnen und der Gesellschaft. Der eigene Körper wird zum Gegenstand der Selbstoptimierung – was nicht passend ist, wird passend gemacht. Sei es durch exzessiven Sport, aufwendige Speisepläne oder, wenn alles nicht mehr zu helfen scheint, eben eine Schönheitsoperation.

Die eigene Performanz verbessern

Eine ähnliche Selbstoptimierung kann man bei Menschen beobachten, die beruflich stark unter Druck stehen. Seminare, um die eigene Performanz zu verbessern, und Workshops, die die eigene Belastbarkeit stärken sollen, sind dabei noch harmlos und möglicherweise wirklich nützlich. Besorgniserregend wird es, wenn Stimmungsaufheller, Aufputschmittel und Designerdrogen konsumiert werden, um dem Druck und den Anforderungen standhalten zu können.

Diese Kultur der Selbstoptimierung produziert zwangsläufig Verlierer. Wer keinen so perfekten Körper besitzt oder das Geld nicht hat, diesen zu erschaffen, ist raus aus dem Spiel. Wessen Belastbarkeit deutliche Grenzen hat, ebenfalls. Und natürlich gibt es die vielen, die von vornherein diese Welt nur aus Glitzermagazinen kennen oder sie auf den teuren Einkaufsboulevards der Metropolen nur von ferne betrachten können.

Aber wie kann man sich dem dahinterstehenden Denkmuster entziehen? Das geht nur durch die Veränderung des Sinnes, durch einen Perspektivwechsel, der sehen lässt, was jemand ist, und nicht, oder zumindest weniger, was jemand hat. Solches – das zu sagen darf man wagen – vermag der Geist, der Heilige Geist. Der Apostel Paulus beschreibt das im Brief an die Gemeinde in Korinth sehr schön: “In einem jeden offenbart sich der Geist zum Nutzen aller.“ Oder anders gesprochen: Der Heilige Geist ist und wirkt in jedem, auch wenn sich dies sehr unterschiedlich äußert.

Unterschiede sind ein Zeichen der Vielfalt des Geistes

Hier liegt gerade der Witz: Zum einen wirkt der Heilige Geist, und zwar in jedem Menschen, der glaubt. Ganz unabhängig von Leistung, Schönheit, Vermögen, intellektuellen und anderen Fähigkeiten. Zum anderen ist dieses Wirken immer von Bedeutung für alle. Worauf es also ankommt, ist zu entdecken, worin die Gaben liegen – wie der Heilige Geist in einem Menschen wirken will. Vielleicht macht er den einen sehr hilfsbereit. Ohne umständlich gebeten werden zu müssen, fasst er dort mit an, wo seine Hand am nötigsten gebraucht wird. Den anderen macht er geduldig. Eine Dritte stattet er mit einem Einfühlungsvermögen aus, das es anderen leicht macht, sich Belastendes von der Seele zu reden. Eine Weitere hat vielleicht ein heiteres Gemüt und macht damit ihre Nähe zu einer Wohltat. Noch jemand anderes ist so gastfreundlich, dass sein Gesicht immer ein “Herzlich willkommen“ zeigt, sobald Besuch vor der Tür steht. Es gibt so vieles, das wir als das Wirken des Geistes erkennen können. Weil er ein vielfältiger Geist ist, schafft er auch unter uns diese Vielfalt, die tatsächlich zum Nutzen aller ist.

Unsere Gesellschaft erzeugt mit ihren Idealen oft genug eine Einförmigkeit, die eintönig ist. Das mag, wirtschaftlich gesehen, von Vorteil sein. Gleich große Äpfel lassen sich maschinell besser verpacken als solche von unterschiedlicher Größe und unterschiedlichem Gewicht. Aber was schon bei Äpfeln für Langeweile sorgt, ist bei uns Menschen nachgerade schädlich. Deswegen: Individualität ist ein Geschenk, Unterschiede sind ein Zeichen der Vielfalt des Geistes, und jeder Mensch ist viel mehr, als er hat.

Die Schönheitsindustrie mag an Umsatz verlieren, wenn sich diese Einsicht durchsetzt. Der Umsatz an Liebe, an Gemeinschaft, an Glück wird steigen.

Heinrich Bedford-Strohm
(aus: ZUTATEN - Themenheft zur Fastenaktion der evangelischen Kirche)