100 Jahre jung: Die Jungschar feiert einen Jahrhundert-Geburtstag

Christliche Kinder- und Jugendarbeit mit Tradition

25. Februar 2015

Kinder im Grünen, Sommercamp des CVJM Bremen

100 Jahre? Nein – die Jungschar gibt es länger, werden Kenner der christlichen Kinderarbeit einwenden. Schon in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts wurden in Deutschland Jünglingsvereine (später: Christlicher Verein Junger Menschen CVJM) gegründet. Zunächst trafen sich junge Erwachsene, um gemeinsam in der Bibel zu lesen. Um 1880 stießen immer mehr Jugendliche, später auch Kinder dazu. Die Vereine schufen deshalb sogenannte "Knabenabteilungen" für sie, in Stuttgart geschah das laut CVJM im Jahr 1901. Dieser Stuttgarter Gruppe wurde 1915 die besondere Ehre zuteil, dem württembergischen König Wilhelm II. zum Geburtstag zu gratulieren. Dafür brauchte sie allerdings einen vorzeigbaren Namen, die "junge Schar". Schließlich marschierten die Kinder als "Jungschar-Regiment" vor dem König auf. In die damalige Zeit passte der Begriff perfekt, und schnell breiteten sich Name und Konzept in ganz Deutschland aus.

Heute besuchen im CVJM bundesweit mindestens 66.000 Kinder zwischen neun und 13 Jahren die Jungschargruppen, mancherorts gibt es auch Angebote für jüngere Kinder. Die Ortsvereine leisten die Arbeit häufig im Auftrag der örtlichen Kirchengemeinde. Das Gemeindejugendwerk (GJW) des Bundes Evangelisch-Freikirchlicher Gemeinden in Deutschland (Baptisten) führt – bei 800 Gemeinden – rund 280 Jungschargruppen mit insgesamt 3.000 Kindern. Jungscharen gibt es außerdem in Freien evangelischen Gemeinden, beim Jugendverband "Entschieden für Christus" (EC) und in der Evangelisch-methodistischen Kirche.

Geschlechtertrennung für Bibelarbeiten

Bis heute treffen sich beim CVJM meist nach Mädchen und Jungen getrennte Gruppen. Antje Metzger, Landesjugendreferentin beim Evangelischen Jugendwerk in Württemberg (EJW) hält das "aus rein entwicklungspsychologischen Gründen" bei Kindern ab acht Jahren für sinnvoll, "weil die Jungen andere Interessen haben als die Mädchen und umgekehrt. Jungen messen sich gerne, lieben Wettkämpfe, dadurch gewinnen sie ihre Stärke, ihre Selbstsicherheit. Mädchen machen Spiele nicht unbedingt, um sich zu messen, sondern um Spaß zu haben". Auch für Bibelarbeiten sei die Geschlechtertrennung sinnvoll, denn "Mädchen reden gern mehr über bestimmte Themen als Jungs."

Eine klassische Jungscharstunde besteht aus vier Elementen: Singen, Spielen, Erzählen und eine Andacht. "Das hat sich im Wesentlichen auch bei den meisten Jungscharen erhalten", erklärt Søren Zeine, CVJM-Bundessekretär für Jungschararbeit beim CVJM-Westbund. Abenteuer und Sport gehören besonders im Sommer dazu, wenn Zeltlager, Schnitzeljagden, Stadtrallyes, Ausflüge, oder Fußballturniere auf dem Programm stehen. Im Winter gibt es Spielenachmittage, Werken und Basteln, und in den meisten Jungscharen wird auch gern gesungen. "Wir wollen einfach Kindern vermitteln, dass sie in der Jungschar Gemeinschaft erfahren können, dass sie Glauben entdecken dürfen und Abenteuer erleben können", fasst Søren Zeine zusammen.

Kindern das Evangelium nahebringen

"Das Hauptziel ist es, Kinder mit dem Evangelium zu erreichen", sagt Kay Moritz, Leiter des Bildungsbereiches im Gemeindejugendwerk (GJW) des Bundes Evangelisch-Freikirchlicher Gemeinden. In Andachten und Bibelarbeiten werden die Basics des Glaubens vermittelt: "Es ist heute leider nicht mehr so, dass Kinder etwas damit anfangen können, wenn wir sagen: 'Du kennst doch die Geschichte von Mose?‘“ – „Wie, Mose, kenn ich nicht", zitiert Søren Zeine einen typischen Dialog. Deswegen gehe es zunächst darum, die Bibel kennenzulernen, "und dann klar zu sagen: Wir wollen, dass ihr den liebenden Gott kennenlernt und auch zum Glauben kommt. Kinder können auch schon im Alter von acht, neun oder zehn Jahren bewusst Entscheidungen treffen für Jesus", ist der CVJM-Bundessekretär überzeugt.

Für Karl-Heinz Stengel, Präses des CVJM-Gesamtverbandes in Deutschland, war seine Jungscharzeit um 1960 "eine große Hilfe zum Start ins Leben". Und er freut sich darüber, dass seine Enkelkinder heute auch in die Jungschar gehen und sich damit identifizieren – übrigens immer noch in demselben Dorf wie ihr Opa, in Wilferdingen (Baden-Württemberg). "Wenn ich das heute bei meinen Enkeln so ein bisschen verfolge – ich glaube, manche Spiele und manche Dinge haben sich bis heute in der Jungschar nicht verändert", sagt Karl-Heinz Stengel.

Um Gemeinschaft und Zusammenhalt zu pflegen, berufen sich viele Jungscharen – besonders im CVJM – auf die sogenannten Leitsätze:

Jesus Christus
will der Herr meines Lebens sein:
Er ist mein Freund, dem ich vertrauen kann.
Er liebt mich, auch wenn ich Fehler mache.
Er spricht zu mir durch sein Wort.
Er hilft mir, treu und ehrlich zu sein.
Für mein Leben gilt:
Mit Jesus Christus mutig voran!

Zumindest der Schlusssatz beendet als Ritual die Jungscharstunde: "Jungschar Salchendorf – mit Jesus Christus mutig voran!", ruft besipielsweise eine Mitarbeiterin, und die Kinder antworten: "Allzeit bereit, mutig voran!" "Rituale sind sehr wichtig für die Kinder, weil sie einen gewissen Rahmen lieben. Das gibt ihnen Sicherheit und Geborgenheit“, erklärt Antje Metzger vom EJW. "Der Leitsatz ist eine Bestärkung am Ende: Wenn ich jetzt heimgehe, dann gehe ich nicht allein, dann geht Gott mit."

Bewährte Inhalte und Formen mag niemand aufgeben, auch nach 100 Jahren nicht: Gemeinschaft und Zusammenhalt, Glaube und Orientierung, Begleitung durch junge Erwachsene. Gerade weil viele Kinder heute in instabilen Familienverhältnissen leben und Eltern weniger Zeit haben, tue ihnen die Jungschar gut. "Ich glaube, die Sehnsucht nach Geborgenheit und Angenommensein ist heute einfach bei vielen Jugendlichen nochmal stärker ausgeprägt", sagt CVJM-Präses Karl-Heinz Stengel. CVJM und Baptisten setzen momentan sogar auf eine Form, die zwischenzeitlich schon aus der Mode gekommen war: die bündische Jungschararbeit, also Pfadfinder.

"Die Pfadfinderarbeit boomt"

Fahrtenhemden und Halstücher als Zeichen von Zugehörigkeit, Outdoor-Aktivitäten, Rituale und nicht zuletzt Verpflichtungen gegenüber Gott, sich selbst und der Gruppe gehören dazu. "Die Pfadfinderarbeit boomt", sagt Kay Moritz vom GJW. "Ich glaube, darin liegt die Zukunft". Die Kinder werden beteiligt und ernst genommen, bekommen Aufgaben und Verantwortung übertragen: "Frontalunterricht oder dass Kinder bespaßt werden, ist gar nicht das, was sie wollen", sagt Kay Moritz. Viele wollten lieber rausgehen und selber etwas tun, sagt auch CVJM-Sekretär Søren Zeine: "Welche Kinder können heute noch erleben, dass sie im Garten Feuer machen können?"

Traditionen aus 100 Jahren Jungschar haben also Bestand und sogar Zukunft – auch der Name, der ja etwas altmodisch klingt. Einzelne Gruppen nennen sich anders: "Im Ruhrgebiet gibt's ganz viele Jungscharen, die heißen 'Kids Club‘ oder so", erzählt Zeine. Er plädiert trotzdem dafür, den Markennamen "Jungschar" zu erhalten. "Ich glaube, in den letzten Jahren haben wir es geschafft, nochmal eine neue Identität für Jungschararbeit zu schaffen", freut sich Søren Zeine. Und Präses Karl-Heinz Stengel will das Jubiläum des Namens groß feiern, "weil es, glaube ich, auch Erfolgs- und Segensgeschichte ist – diese 100 Jahre".

Anne Kampf (evangelisch.de)