"Dem Gefühl mehr Raum geben"

Viele Demenzkranke blühen während der Adventstage auf

16. Dezember 2014

Bewohnerin im AllgäuStift Seniorenzentrum mit Betreuerin

Die Weihnachtszeit will Gudrun Klotz ihrem Vater immer besonders schön machen. Mit LED-Teelichtern und einem Bäumchen schmückt sie sein Zimmer. Am Heiligen Abend bringt sie ihm ein paniertes Schnitzel ins Pflegeheim. "Das gehört für ihn zur Tradition", sagt die 57-Jährige, die ihren demenzkranken Vater Karl im Seniorenzentrum Buchenberg im Allgäu zweimal wöchentlich besucht. "Das Wichtigste ist für ihn aber, dass es etwas Süßes gibt. Auch Geschenke auspacken gefällt ihm nach wie vor."

Viele Demenzkranke leben im Advent auf. Weihnachten sei eine Zeit, in der man sich es gerne heimelig machen, die Hektik ablegen und dem Gefühl mehr Raum geben wolle, sagt Helga Schneider-Schelte von der Deutschen Alzheimer-Gesellschaft. All das komme Demenzkranken und ihrer Art zu leben entgegen. Denn auch wenn die Orientierung nachlasse, sei das Gefühl wach und intakt.

Für eine entspannte Weihnachtszeit rät sie davon ab, sich mit Demenzkranken am Wochenende über den Weihnachtsmarkt zu schieben oder große Weihnachtsfeiern zu besuchen, "bei denen alle durcheinanderreden". Auch Hektik bis zum Schluss und das Backen komplizierter Rezepte überfordere sie.

Weihnachten solle mit Demenzpatienten statt dessen als "Fest der Sinne" begangen werden, empfiehlt Günther Schwarz, Leiter der Alzheimer-Beratungsstelle der Evangelischen Gesellschaft in Stuttgart. Demenzkranke könnten im Advent mit stimmungsvoller Atmosphäre, Musik, Kerzenschein und Düften besonders berührt werden.

Statt Hektik bräuchten sie Gelassenheit, Toleranz, Geduld und einen liebevollen Umgang, erklärt der Psychologe, "und das gilt nicht nur an Weihnachten". Dafür müssten die oft stark geforderten Angehörigen allerdings auch auf sich achten: Sie sollten mit sich selbst gelassen, tolerant, geduldig und liebevoll umgehen. Nur so könnten sie auf Dauer Hingabe und Kraft zur Betreuung ihrer Angehörigen aufbringen.

Speziell für Demenzkranke haben Verlage Produkte zum Mitmachen und Aktivsein entwickelt. Im Karlsruher SingLiesel Verlag etwa gibt es einen Geschichten-Kalender zur Weihnachtszeit und Bücher mit traditionellen Liedern. Das Handarbeitsset "Sticken ohne Nadel" zeigt nostalgische Illustrationen und schult zugleich die Motorik.

Auch im AllgäuStift Seniorenzentrum Buchenberg werden die Bewohner zur Adventszeit in die Gestaltung der Festlichkeiten einbezogen. "Für den Weihnachtsbasar bekleben wir mit ihnen Weihnachtskugeln aus Plexiglas und Styropor oder basteln Schneemänner aus Ton", sagt Leiterin Stefanie Worbs.

Im Aufenthaltsraum sitzt Andrea Rist, die ihre 75-jährige demenzkranke Mutter Marianne besucht. "Am Heiligen Abend besuchen wir sie mit der ganzen Familie hier im Heim, trinken gemeinsam Kaffee und essen Plätzchen", erzählt Rist: "Wir haben das Gefühl, dass sie sich freut." Zur Weihnachtszeit würden in jedem Wohnbereich die Weihnachtsbäume gemeinsam mit den Bewohnern geschmückt: "Mal gibt es viel Lametta, mal viele Kugeln - je nach den Wünschen der Bewohner."

Besonderes Wohlbefinden löst bei Menschen mit Demenz das Musizieren aus. "Das musikalische Gedächtnis verblasst bei demenzkranken Menschen zuletzt", erklärt Worbs. Beim gemeinsamen Singen liebten die Bewohner daher besonders Lieder aus der Vergangenheit. "Das weckt Erinnerungen. Mit modernen Weihnachtsliedern können Demenzkranke nichts anfangen; die bringen sie nicht mit Weihnachten in Verbindung."

Das weiß auch Betreuerin Kristina Kutschner. Bei Bewohnern, die anfangs apathisch im Singkreis säßen, lichte sich während des Singens der Blick, hat sie beobachtet: "Einer Dame kommen sogar immer Tränen in die Augen". Beliebt bei Demenzkranken ist auch das gemeinsame Plätzchenbacken. Gerade über die weihnachtlichen Gerüche wie Bratapfel, Mandarinen und Zimt würden die Bewohner erreicht. "Beim Backen bemerkt man dann auch, ob jemand früher gern in der Küche stand", sagt Kutschner.

Weihnachten müsse nicht perfekt sein, viel wichtiger sei die Gemeinsamkeit der Angehörigen mit den Demenzkranken, sagt Altersmediziner Johannes Pantel von der Goethe-Universität Frankfurt am Main. "Und wenn etwa beim Schmücken des Weihnachtsbaumes mal eine Kugel zu Boden fällt oder der Stern nicht an der richtigen Stelle hängt, sollte das dann nicht korrigiert oder negativ kommentiert werden".

Beim Besuch im Heim sollten Angehörige am besten nostalgische Dekorationen oder Gebäck nach traditionellen Rezepten mitbringen, rät Seniorenzentrums-Leiterin Stefanie Worbs: "Das hilft beim Erinnern". Auf jeden Fall nicht zu viel: "Die Fülle der Geschenke kann von Demenzkranken nicht mehr verarbeitet werden". Beliebte Weihnachtsgeschenke seien Kuscheltiere. "Die erhalten von unseren Bewohnern oft Namen und werden sogar zum Essen mitgenommen". (epd)