Stimmgewaltiges Gloria

Deutschlands größte Domsingschule in Braunschweig nimmt jedes Jahr 80 neue Schüler auf

11. September 2014

Schüler der Domsingschule

Etwa 40 Jugendliche holen zeitgleich Luft: Dann schallt ein vierstimmiges "Glooooria" durch den Probenraum im Braunschweiger Dom. Auch der 17-jährige Cornelius Baumgart setzt mit seiner tiefen Bass-Stimme ein. Seit seinem vierten Lebensjahr gehört der wöchentliche Singunterricht zu seinem Alltag. "Mich hierhin zu schicken, war eine der besten Entscheidungen meiner Eltern", sagt Cornelius. Deutschlands größte Domsingschule im niedersächsischen Braunschweig nimmt zu Schuljahresbeginn am Donnerstag wieder rund 80 neue Schüler auf.

Seit ihrem Gründungsjahr 1976 ist die Einrichtung auf 23 Chöre mit drei Kantoren und 800 Sängern angewachsen. Das sind sechsmal mehr Schüler als bei den berühmten Thomanern in Leipzig oder im Dresdner Kreuzchor. Allerdings wohnen die Braunschweiger Jugendlichen anders als in Leipzig zu Hause und nicht in einem Internat, erläutert Domkantor Gerd-Peter Münden (48). Und die Schule bietet auch Chöre für Erwachsene.

Cornelius hat zunächst in der Kinderkantorei mit Liedern wie "Fuchs, du hast die Gans gestohlen" angefangen. "Mittlerweile ist der Chor für mich wie eine zweite Familie geworden", sagt er. Für Auftritte am Wochenende oder in Konzerten zieht sich Baumgart statt der üblichen Sneakers und Shorts ein bodenlanges blaues Chorgewand mit weißem Kragen über.

Davor heißt es aber, oft wochenlang zu proben. Dreimal in der Woche kommt Cornelius zu Einzelstunden oder zum gemeinsamen Singen in den Dom. Jeder Schüler der Jugendkantorei hat im Probenraum eine eigene nummerierte Notenmappe stehen. Daneben greift jeder zu Beginn der Probe auch in den Korb mit den frisch gespitzten Bleistiften.

Wenn Domkantor Münden hinter dem Klavier die Arme hebt, ist volle Konzentration gefordert: Einsatz, Singen, Luftholen, Stopp. "Männer, ich höre den Bass nicht", ruft Münden in die Richtung von Cornelius, um erneut die Arme zum Einsatz zu heben. Die drei Takte werden noch mal und noch mal wiederholt, zwischendurch werden Pfeile und Atempausen in die Noten notiert. "Ich möchte keine Elite, aber viele gute Sänger", erläutert Münden.

Anders als in den katholischen Domsingschulen üben in Braunschweig Mädchen und Jungen gemeinsam. Auch die 17-jährige Jennifer-Ama Gargiulo gehört seit ihrem fünften Lebensjahr zu den Domsingschülern. Zu ihren persönlichen Vorbildern gehört Tina Turner, doch sie selbst singt am liebsten Messen. "Im Chor zu singen, bedeutet für mich Gemeinschaft und eine tiefgründige Verbindung zu Gott."

Einmal im Jahr, zum "Tag der Domsingschule", zeigt jeder Schüler in einer Prüfung, was er gelernt hat. Erst dann werden die Nachwuchssänger in die nächst ältere Gruppe aufgenommen. Auch das gehört Münden zufolge zum Erfolgsrezept der Einrichtung: "Wir nutzen Prüfungen als Motivation." Der Domkantor erwartet viel Disziplin und eine uneingeschränkte Bereitschaft, sich ausbilden zu lassen. Zu Beginn jeder Probe prüft er zunächst, ob wirklich jeder anwesend ist: "Wer hier zur Schule will, muss die Musik mit ganzem Herzen wollen." Erst dann zeigten die Melodien auch ihr verbindendes Element und setze dabei "wahnsinnige Emotionen" frei.

Für viele Jugendliche sind Domkantor Münden und seine Kollegen im Lauf der Jahre zu vertrauten Ansprechpartnern geworden. Sie kennen die Probleme und Familiengeschichten der meisten Schüler. Zu Berufsmusikern werden später die wenigsten. Für Jennifer-Ama steht dennoch fest, dass sie auch nach der Jugendkantorei in anderen Chören der Domsingschule weitersingen will: "Musik gehört für mich überall mit dazu." (epd)