„Ökumene-Initiative verdient Beachtung“

Der Leiter des Konfessionskundlichen Instituts Bensheim äußert Verständnis

05. September 2012

Walter Fleischmann-Bisten, Leiter des Konfessionskundlichen Instituts Bensheim

Prominente Christen wollen Reformen in den Kirchen anstoßen: Der Aufruf „Ökumene jetzt - ein Gott, ein Glaube, eine Kirche“ wirbt für die Überwindung der Kirchentrennung. Im Interview schaut Walter Fleischmann-Bisten, Leiter des Konfessionskundlichen Instituts Bensheim, den Aufruf genauer an.

Herr Fleischmann-Bisten, was erwarten Sie von dem Aufruf „Ökumene jetzt“?

„Ökumene jetzt“ verdient in jedem Fall große Beachtung und dürfte eine breite Diskussion in Kirchen, Politik und Gesellschaft auslösen. Das ist gut, denn die ökumenische „Ungeduld“ von der der Mitunterzeichner Wolfgang Thierse sprach, ist nachvollziehbar. Die Unterzeichner verweisen ja deutlich auf die ökumenischen Fortschritte der letzten Jahrzehnte und auf gute Kooperationen an der Basis. Auf
diesem Hintergrund ist die Kritik am Stand der kirchenamtlichen und theologischen Prozesse verständlich.

Was motiviert die Erstunterzeichner?

Darüber steht uns keine Spekulation zu. Man liest aus dem Text aber deutlich die Enttäuschung und auch Trauer über noch nicht genutzte Chancen in der Ökumene. Nicht umsonst verknüpft er die Erinnerung an den Beginn des Zweiten Vatikanischen Konzils vor fünfzig Jahren mit der bevorstehenden Feier des fünfhundertjährigen Reformationsjubiläums 2017.

Kann man in diesem Zusammenhang denn noch von einer „Feier“ sprechen?

Die Reformation bedeutet für evangelische Christen die neue Justierung ihres Glaubens allein an der Heiligen Schrift – das ist eine Feier nun wirklich wert. Aber wir können und wollen auch gar nicht darüber hinwegsehen, dass das Datum 2017 auch die Geschichte von fünfhundert Jahren Spaltung der westlichen Christenheit markiert.

Hat sich die Theologie festgefahren im Bemühen, diese Spaltung zu lösen oder auch nur zu erklären?

„Ökumene jetzt“ erinnert ja gerade an nicht-theologische Ursachen, die neben theologischen Streitpunkten entgegen der reformatorischen Absicht schließlich zur Entstehung mehrerer Konfessionskirchen geführt haben. Das ist sicher richtig und vielleicht auch manchmal nötig, dass Menschen, die in Politik, Wirtschaft und Kunst in Verantwortung stehen, uns Theologen daran erinnern, dass es eben auch außertheologische Faktoren der Kirchen- und Theologiegeschichte gab und gibt. Und die Frage an uns besteht, ob diese außertheologischen Entwicklungen sich theologisch lösen lassen.

Was für Lösungen bietet „Ökumene jetzt“ denn an?

Ganz zu Recht bezieht sich „Ökumene jetzt“ zunächst auf die Taufe als das beidseitig anerkannte Band der Gemeinschaft mit Jesus Christus. Das Dokument verweist auf einschlägige Texte des Augsburgischen Bekenntnisses von 1530 und des Ökumenismusdekrets des Konzils von 1962-1965. Beide Texte, die für die jeweiligen Kirchen von allerhöchster Wichtigkeit sind, fordern die Verantwortung für das Streben nach der Einheit ein. Nur drücken die Erstunterzeichner, wenn ich das so sagen darf, ein bisschen auf die Tube, weil sie die Frage der Einheit nicht auf die lange Bank der theologischen Klärungen schieben wollen.

Was heißt das konkret?

Sie wollen mit einer Kircheneinheit nicht mehr warten, bis alle theologischen und lehramtlichen Klärungen, zum Beispiel über das Amts- oder Abendmahlsverständnis, vollzogen sind. Und sie wollen die geistliche Gestalt der Kirche auch sichtbar werden lassen. Was das aber konkret heißt, müssen Sie die Beteiligten fragen, nicht mich. Da bin ich genauso gespannt auf die Präzisierungen, die morgen sicherlich folgen werden.

Und das ginge so einfach?

Das sehen wir eben nicht, leider. Und das ist auch ein Schwachpunkt der Erklärung. Denn dass die seit 500 Jahren vorhandenen theologischen Kontroversen heute die Aufrechterhaltung der Trennung nicht rechtfertigen würden, ist eine steile These. Diese Fragen gehen ja an die Glaubenssubstanz der Gläubigen hier und da. Vielleicht fehlt uns aber auch nur die Phantasie, uns ein Modell organisatorischer Einheit vorzustellen. Gerade wenn man das aus römisch-katholischer Perspektive zu denken versucht, wird es schwierig, sich deutsche Lösungen im Kontext einer Weltkirche vorzustellen. Und vor nichts graut es Rom wie vor nationalkirchlichen Separatismen.

Würde das nicht Vieles lösen?

Nein. Nicht nur römisch-katholische Christen stehen in weltweiter Gemeinschaft. Auch die lutherischen und reformierten Kirchen haben starke internationale Verbindungen, deutsche Sonderwege sind deshalb mit Vorsicht zu genießen. Und dann darf in einem zweiten Schritt sicher gefragt werden, warum nicht auch die Ostkirchen und die evangelischen Freikirchen mit ihrem je besonderen ökumenischen Gewicht eingebunden sein sollen. Umso mehr darf man gespannt darauf sein, welche weiteren Absichten die Initiatoren mit ihrer Initiative auf dem Programm haben.

Und dann arbeiten Sie daran mit?

Wenn wir gebraucht werden – natürlich gerne! Der Vorstoß des Appells, dass wir als Christen im Land der Reformation in besonderer Verantwortung stehen, Zeichen für den gemeinsamen Glauben zu setzen, verdient volle Unterstützung. Und es ist beachtlich, wie sich diese Personen aus Sorge und Liebe um ihren Glauben über alle anderen Differenzen hinweg zu diesem Signal zusammengefunden haben. Wir haben im Konfessionskundlichen Institut schon immer ökumenische Basisinitiativen unterstützt – sie sind die entscheidenden Motoren der Ökumene, weil sie die echten Probleme und Schmerzen und Herausforderungen unmittelbar benennen.

Sie bezeichnen diesen Kreis akademisch, politisch und gesellschaftlich hoch angesehener Personen als “Basis”?

Aber natürlich. Basis ist doch keine Frage des Titels oder der Geldbörse. Basis bedeutet, dass hier Menschen aufrichtig und engagiert um die Kirchen und die eine Kirche streiten, die ihnen lieb und wert ist. Wenn Sie so wollen, eben eine “Basis von oben”.

(Foto: Prien/Kassel)

Das Konfessionskundliche Institut wird vom Evangelischen Bund, der Evangelischen Kirche in Deutschland sowie Landeskirchen wie der Evangelischen Kirche in Hessen und Nassau und der Evangelischen Kirche der Pfalz getragen. Die Einrichtung beobachtet und dokumentiert die aktuellen Entwicklungen in der Ökumene kontinuierlich und unterstützt mit Zeitschriften, Buchreihen, Tagungen und Seminaren die Arbeit von Pfarrerinnen, Pfarrern und anderen Mitarbeitenden. Der gebürtige Nürnberger Walter Fleischmann-Bisten ist Pfarrer der Evangelischen Kirche Berlin-Brandenburg-Schlesische Oberlausitz und leitet das Konfessionskundliche Institut Bensheim seit 2007.