Papa im Knast, Familie allein zu Haus

Modellprojekt in Baden-Württemberg unterstützt Kinder von Häftlingen

22. Mai 2012

Hände am Gefängnisgitter

30 Minuten können ganz kostbar sein und manchmal viel zu kurz - besonders aus Sicht von Kindern. 30 Minuten, alle vierzehn Tage: so lange dürfen die dreijährige Katja und die achtjährige Julia gemeinsam mit ihrer Mutter den Papa in der Untersuchungshaft besuchen. Dabei gibt es keine Ausnahmen - auch nicht an Weihnachten oder dem Muttertag am 13. Mai.

An solchen Tagen wird Daniela U. besonders schmerzlich bewusst, wie allein sie mit den Kindern ist. "Früher hatten wir eine heile Welt," erzählt sie. Ihr Mann arbeitete als selbstständiger Unternehmer meist abends und war zum Mittagessen immer zu Hause. Von seiner Festnahme bekamen die Kinder nichts mit und wunderten sich: "Wo ist Papa?" - "Bei der Arbeit", beschwichtigte die 29-Jährige ihre Töchter anfangs immer wieder. Vom Gefängnis wollte sie ihnen nicht erzählen.

Mittlerweile ist Daniela U. froh, dass sie ihren Kindern die Wahrheit gesagt hat und ihren Mann regelmäßig mit den Kindern in der Justizvollzugsanstalt (JVA) Karlsruhe besuchen kann. So konnte sie die Ängste der Kleinen ausräumen. "Unsere große Tochter hatte vor allem Angst, dass ihr Papa im Gefängnis friert und nichts zu essen bekommt", erzählt die zierliche blonde Frau.

Mut machte ihr die Karlsruher Sozialpädagogin Christine Tisch vom bundesweit einmaligen Modellprojekt "Eltern-Kind-Projekt Chance" beim Verein für Jugendhilfe Karlsruhe. Das Projekt betreut Kinder inhaftierter Mütter und Väter in Baden-Württemberg. Es läuft seit dem 1. Juli 2011 und wird drei Jahre lang von der Baden-Württemberg Stiftung mit 500.000 Euro gefördert. Die Betreuung der Familien übernimmt das Netzwerk Straffälligenhilfe Baden-Württemberg.

Ziel des Projekts sei es, den Schock der Kinder zu mildern und den Kontakt zum inhaftierten Elternteil zu ermöglichen, sagt Harald Egerer, Geschäftsführer des Vereins Projekt Chance. 90 Prozent aller Strafgefangenen sind Männer, etwa zwei Drittel sind Väter.

"In diesem Projekt steht das Kindeswohl im Vordergrund", sagt Egerer, der auch Leiter der Justizvollzugsanstalt (JVA) Karlsruhe ist. Eine stabile Bindung zu den Eltern fördere die gesunde Entwicklung des Kindes. "Kein Kind wird jedoch gezwungen, den Papa im Gefängnis zu besuchen". Immer wieder gibt es Jugendliche, die sich weigern.

Christine Tisch ist überzeugt davon, dass Kinder unbedingt die Wahrheit erfahren sollten: "Kinder haben ein feines Gespür für Notlügen und merken, dass etwas nicht in Ordnung ist." Wichtig sei es, den Kindern klar zu machen, dass sie nicht Schuld sind an der Verhaftung. Mit ihnen müsse man vor allem über ihre Gefühle wie Wut, Trauer, Scham und Schuld sprechen. Dabei gibt sie den Familien Hilfestellung.

Besonders an Feiertagen wie Weihnachten, Ostern oder Muttertag sind Trennungen für die Kinder schlimm, erzählt Tisch. Aus Sicherheitsgründen darf Familie U. nicht einmal an Festtagen ein Päckchen an Papa Rainer schicken.

Auch die Eltern werden auf Wunsch begleitet. Daniela U. wurde von den Vorwürfen gegen ihren Mann - Betrug in mehreren Fällen - und seiner Festnahme völlig überrascht und stellte die Beziehung infrage. Dank der Unterstützung konnte Daniela U. ein Stück Normalität für sich und ihre Kinder zurückgewinnen, die Beziehung stabilisierte sich.

Von den finanziellen Schwierigkeiten, in denen die Familie und das Unternehmen ihres Mannes steckte, hatte sie ebenfalls nichts gewusst. Es gebe aber auch etwas Positives. "Wir haben uns auch privat verändert", sagt Daniela U.. Früher sei ihr Mann viel verschlossener gewesen und habe seine Gefühle ihr und gegenüber den Kindern kaum gezeigt.

"Die Beratung durch das Projekt hat mir sehr geholfen", sagt auch ihr Mann im Andachtsraum der JVA. Um mit der Trennung zurechtzukommen, schreibt er viele Briefe an seine Frau und die Kinder.

Wichtig sind dem 33-Jährigen auch die Gespräche mit anderen Inhaftierten und dem evangelischen Gefängnisseelsorger. Er selbst kommt aus einer evangelisch-freikirchlichen Gemeinde. Kurz vor seiner Inhaftierung sei er allerdings immer seltener in die Gottesdienste gegangen. "Ich spürte innerlich, dass etwas nicht stimmt."

Gegen die Haftstrafe von einem Jahr und zehn Monaten hat Rainer U. Berufung eingelegt. Erst nach dem Urteil wird Familie U. wissen, wann sie den Papa wieder zu Hause in die Arme schließen kann. (epd)