Sicher mit Schutzengel und Haussegen

Pfälzische Landeskirche dokumentiert 400 Jahre Volksfrömmigkeit

05. Mai 2012

Engel

Besonders gefällt ihr das Bild des Schwedenkönigs Gustav Adolf mit den verfremdeten und doch vertrauten Gesichtszügen. Der gezwirbelte Schnurrbart, der herrische Blick. "Wer ist das?", fragt Archivdirektorin Gabriele Stüber. Die Antwort im Ratespiel, mit dem sie gerne Besucher im Zentralarchiv der Evangelischen Kirche der Pfalz in Speyer überrascht, gibt sie selbst: Über das Gesicht Gustavs, des "Retters des Protestantismus" aus der Zeit des Dreißigjährigen Krieges, hat ein frommer, deutschnationaler Maler das Konterfei von Kaiser Wilhelm II. gelegt - ein skurriles Zeugnis des Volksglaubens um 1900 an zwei "Heilsbringer".

Stüber und ihre Mitarbeiterinnen haben seit 2001 eine umfangreiche Sammlung zur Volksfrömmigkeit in Deutschland zusammengetragen. Rund 2.400 Exponate aus dem evangelischen und katholischen Bereich sind bisher erschlossen und dokumentieren etwa 400 Jahre Frömmigkeitskultur - von 1600 bis heute. Die Sammlung verfügt über die bundesweit größte Zahl von Objekten zur Volksfrömmigkeit, die in Text und Bild im Internet zugänglich sind.

Fast unüberschaubar ist im Speyerer Archiv die Bandbreite bei der religiösen Volkskunst und Alltagskultur. Säuberlich in Regalen, Kartons und Kisten abgelegt sind Schriften, Bilder, Plastiken und Schmuck, die meist jenseits der Grenze zum Kitsch religiöse Vorstellungen und Wünsche reflektieren.

Ein weiblicher Schutzengel führt Kinder an der Hand über eine brüchige Brücke, Jesus hütet als "guter Hirte" seine Schafe. Eine Madonna hält schützend das Jesuskind im Arm, gerahmte Haussegen und Wandsprüche erbitten göttlichen Schutz und Hilfe. Andere idyllische Familienszenen mahnen zur Mutter- und Vaterliebe. Auch Glückwunschkarten zur Konfirmation und Erstkommunion oder Jesus- und Marien-Figuren als Mitbringsel von einer Wallfahrt hat das Archiv gesammelt.

Die meisten Exponate kommen von Privatleuten und wurden dem kirchlichen Archiv geschenkt, verkauft oder aber bei Flohmärkten erstanden. "Sie waren oft über Jahrzehnte Lebensbegleiter in einer Familie, sollten die Glaubensgewissheit stärken und Schutz geben", sagt Stüber. Die Geschichte der Exponate werde dokumentiert und lasse wissenschaftliche Rückschlüsse auf das Frömmigkeitsverhalten in verschiedenen Epochen zu.

Immer häufiger ist das Fachwissen der Speyerer Archivare gefragt, wenn es um die Datierung oder das Interpretieren von Zeugnissen zur "Frömmigkeit des Herzens" geht. Freilichtmuseen, die beispielsweise das Wohnzimmer eines Bauernhauses um 1900 einrichten, erkundigten sich, welcher religiöse Wandschmuck zeitgemäß sei, erzählt Stüber.

Der Blick auf das oft verpönte Thema Volksfrömmigkeit wandelt sich, hat die Archivarin beobachtet, die auch der Leitungsgruppe des evangelischen Verbands kirchlicher Archive angehört. Habe der religiösen Volkskultur mit ihren fließenden Übergängen zur Esoterik und zum Aberglauben lange der Ruch des Provinziellen und Frömmelnden angehaftet, so sei nun ein neues Interesse an ihr erwacht. "Volksfrömmigkeit ist bis heute ein gewichtiger Teil der Alltagsgeschichte", sagt Stüber. "Sie ist - oftmals unbewusst - eine Form des gelebten Glaubens."

Auch Hans Otte, Leiter des Archivs der Evangelisch-lutherischen Landeskirche Hannovers, hat einen Trend zu neuen Formen der Volksfrömmigkeit in der evangelischen Kirche ausgemacht. Bis vor etwa 15 Jahren habe sich der deutsche Protestantismus vor allem auf das göttliche Wort, die Bibel, konzentriert, sagt der Theologe und Pietismus-Experte.

Seitdem sei in der Kirche der Wunsch nach mehr Gegenständlichkeit, nach neuen Formen von Spiritualität, gewachsen. Dies zeige sich etwa im Engelkult oder im großen Markt für Konfirmanden-Gaben mit Kreuzen und Taubenfiguren. Kritiker der Volksfrömmigkeit allerdings wandten oft ein, dass die Grenzen zur Esoterik fließend seien, sagt der Archivar: "Wenn es um Kultfiguren geht, wird der Protestant wach."