Geteiltes Geld, doppeltes Glück

Viele Menschen spenden und stiften und steigern damit ihr eigenes Wohlbefinden

30. März 2012

Briefumschlag mit Geldschein

Mal liegt das Geld unter der Fußmatte, mal zwischen den Seiten eines Gesangbuches, mal schlicht im Briefkasten. Ein bislang unbekannter Wohltäter überrascht die Menschen in und um Braunschweig seit Monaten mit großzügigen Spenden. Seit November wurden bereits 190.000 Euro anonym für soziale Zwecke verschenkt. Während die Region rätselt, wer dahintersteckt, wissen Experten: Der edle Spender gibt nicht nur, er tut sich auch selbst etwas Gutes. Und klar ist auch, dass der Wohltäter Zeitung liest.

Zuletzt tauchten 1.950 Euro in einem Umschlag mit der Aufschrift "Spende" im Briefkasten der evangelischen Propstei Helmstedt östlich von Braunschweig auf, ergänzt durch einen Zeitungsartikel. Im Text waren die Worte "karitative Zwecke", "Projekte gegen Kinderarmut" und "zur Unterstützung sozial schwacher Familien" unterstrichen. Ähnlich wurden bisher Kindergärten, eine Suppenküche, ein Hospiz, die Opferhilfe und Kindertagesstätten gefördert. Meist ging aus einem Artikel der "Braunschweiger Zeitung" der Adressat der Spenden hervor, die auch schon mal fünfstellig waren.

Braunschweigs Beauftragter gegen Kinderarmut, der frühere evangelische Propst Armin Kraft, spricht von einer "neuen Version des Wohltäters". Mit möglicherweise alten Motiven, wie der Berliner Philosoph und Wissenschaftsautor Stefan Klein darlegt. Denn altruistische Motive, also uneigennütziges Handeln, gehören nach seinen Worten genauso wie der Egoismus zur genetischen Grundausstattung des Menschen. "Wer selbstlos handelt, hat weniger Angst und ist weniger stressempfindlich, das zeigen neuropsychologische Studien", argumentiert Klein.

Wer gut zu anderen ist, dem geht es selbst besser, fasst der Bestsellerautor zusammen, der seine Thesen in seinem jüngsten Buch "Der Sinn des Gebens" erläutert. "Wenn wir uns um das Wohl anderer kümmern, werden im Kopf Hormone wie Opioide und Oxytocin ausgeschüttet, die uns euphorisch stimmen und auch beim Sex eine wichtige Rolle spielen", sagt Klein. Die Hormone lieferten eine Erklärung, warum Altruisten gesünder seien: "Beide dämpfen die Ausschüttung des Stresshormons Cortisol und beugen so Herz-Kreislauf-Erkrankungen und Infektionen vor. Denn chronischer Stress schädigt die Blutgefäße und behindert das Immunsystem."

Klein zitiert Studien der kanadischen Psychologin Elizabeth Dunn. Danach gilt: Wer freiwillig etwas für andere tut, verschafft sich nicht nur für den Moment gute Gefühle, er steigert auch langfristig seine Lebenszufriedenheit. "Natürlich muss am Ende die Rechnung von Geben und Nehmen aufgehen", meint Klein. "Das heißt nur nicht, dass die Rechnung von Geben und Nehmen in jedem einzelnen Akt aufgehen muss."

Dieser Einsicht folgen offensichtlich immer mehr Menschen. So seien Großspenden von 10.000 Euro und mehr gar nicht so selten, sagt der evangelische Fundraising-Experte Paul Dalby. Auch anonyme Spenden kämen immer wieder vor. Ihren Anteil beziffert der Theologe der hannoverschen Landeskirche auf stabile drei bis vier Prozent.

Den wachsenden Trend zum Spenden bestätigt der Blick auf hanseatisches Mäzenatentum genauso wie die unablässig steigende Zahl von Bürger-, Firmen- und Kirchenstiftungen. In Amerika wollen Superreiche wie Microsoft-Gründer Bill Gates, Investment-Legende Warren Buffet und Facebook-Chef Mark Zuckerberg sogar die Hälfte ihres Vermögens spenden.

"Höher Gebildete geben in allen westlichen Gesellschaften mehr als untere Bildungsschichten", bilanziert der Erlanger Soziologe Frank Adloff. Dabei seien Empathie und Mitgefühl, oft durch Medien angestoßen, notwendige emotionale Prozesse, die das Spenden erst ermöglichten. So ist es auch in Braunschweig gelaufen, denn der anonyme Spender ließ sich stets durch Berichte in der Tageszeitung anregen.

Der katholische Sozialethiker Friedhelm Hengsbach liefert allerdings eine kritische Sicht auf die bundesweit wachsende Lust am Stiften. Spenden seien auch nicht gezahlte Steuern, wendet der Jesuitenpater und Wirtschaftsexperte ein: "Zuerst sollten die Menschen für ihre Arbeit ordentlich entlohnt und Steuern gezahlt werden."

Aber darüber brauchen sich die Braunschweiger keinen Kopf zu machen, denn der unbekannte Wohltäter kann seine Spenden schließlich nicht steuersenkend geltend machen. Viele in der Region hoffen, dass das "Wunder von Braunschweig" noch eine Weile anhält. So wie Henning Noske, Lokalchef der "Braunschweiger Zeitung": "Solange es keinen ungesetzlichen Hintergrund hat, kann es von mir aus so weitergehen." (epd)