Staatliche Absicherung und gesellschaftliches Engagement

EKD-Denkschrift zur Gesundheitspolitik

20. Oktober 2011

Schriftzug 'Patienten' auf einer Mauer

Bereits im Oktober 2010 hat der Rat der EKD eine Stellungnahme zum  „Gesetz zur nachhaltigen und sozial ausgewogenen Finanzierung der Gesetzlichen Krankenversicherung“ herausgegeben. In der neuen EKD-Denkschrift zur Gesundheitspolitik lenkt der Rat die Blicke nun auf größere Zusammenhänge, wie der Vorsitzende der Ad-Hoc-Kommission, Prof. Dr. Peter Dabrock, erklärte.

Große Herausforderungen in der Gesundheitspolitik

„Gerade wenn man Gesundheitspolitik nicht nur als Geschäftsfeld eines gleichnamigen Ministeriums begreift, sondern sie intensiver verknüpfen würde mit anderen zivilgesellschaftlichen und politischen Aktivitäten, erschlössen sich nachhaltig neue Ressourcen zur Verbesserung des gesundheitlichen Status der Menschen im Lande.“ Die ohne Zweifel großen Herausforderungen der Gesundheitspolitik seien nur zu meistern, wenn der Blick über die klassischen gesundheitspolitischen Handlungsfelder hinaus geweitet werde.  So fordert die Denkschrift, auch Bildungsfragen, Familienförderung oder Fragen der Quartiersentwicklung in den Diskurs über Gesundheitspolitik einzubeziehen.

In biblischen Zeiten war Kranksein eines der größten Hindernisse für soziale Teilhabe und führte schnell zum Ausschluss aus der Gemeinschaft. Dass sich das im Laufe der Geschichte verändert hat, ist nicht zuletzt eine Konsequenz der christlichen Kultur, die wesentlich von Diakonie und Caritas geprägt wurde.

Eigenverantwortung und Solidarität

Die Hilfe für Kranke und Pflegebedürftige und die materielle Absicherung gegen Krankheitsrisiken gehören zur sozialen Verfasstheit der deutschen Gesellschaft. Die Hilfsbereitschaft der Einzelnen und die sozialstaatliche Daseinsvorsorge, familiäres und nachbarschaftliches Engagement und staatlich garantierte Absicherung müssen dabei Hand in Hand gehen. Deswegen darf die Ermutigung zur Eigenverantwortung nicht gegen staatlich organisierte Solidarität ausgespielt werden. Das gilt vor allem, wenn Krankheit, Behinderung oder materielle Armut Eigenverantwortung schwer machen.

Gerade da, wo die Menschen besonders verletzlich sind, wie etwa in Situationen körperlicher Gebrechlichkeit oder Krankheit an Leib oder Seele oder auch in Situationen materieller Armut, dürfen sie auf Gottes Beistand hoffen. Dem soll dann aber auch der Umgang mit anderen Menschen entsprechen. Wo Menschen anderen Menschen den menschenmöglichen Beistand verweigern, handeln sie deswegen letztlich  gottlos.

„Der Mond ist aufgegangen“ – Gemeinwohlorientierung und spirituelle Angebote

Gemeinwohlorientierung und spirituelle Angebote spielen für die Entwicklung des Gesundheitssystems eine zunehmend bedeutsame Rolle. Empathie und Intuition der Behandelnden, Helfenden und Pflegenden sind eine zentrale Ressource. Spiritualität kann helfen, achtsamer mit Krankheiten, Leiden und Sterben umzugehen. Gerade in den Kirchen und Religionsgemeinschaften können Menschen erleben, was es heißt, sich eingebunden und gehalten zu fühlen.

In Matthias Claudius‘ Abendlied „Der Mond ist aufgegangen“ heißt es am Ende: „Verschon uns, Gott, mit Strafen und lass uns ruhig schlafen und unsern kranken Nachbarn auch.“ Unsere Ängste und Sorgen sollen nicht übermächtig werden – auch nicht die um unsere Gesundheit. Zugleich aber muss die gute Tradition, unsere Nachbarn mit uns selbst im Nachtgebet vor Gott zu stellen, auch unser Handeln am Tage prägen. Gemeinde, Nachbarschaft und Politik leben von der Bereitschaft, das Leiden anderer wahrzunehmen, von einem guten Miteinander und von tragfähigen Netzen. Das Gebet zur Nacht ergänzt deshalb die politische Wachsamkeit und das Ringen um Gerechtigkeit am Tage, wo es um die Kranken in unserem Land geht.