Die schwebende Leichtigkeit der Sprache

Der Schweizer "Dichterpfarrer" Kurt Marti wird 90 Jahre alt

30. Januar 2011

Kurt Marti (Foto: epd-bild / Dharmendra Parmar)

Kurt Marti ist der bedeutendste lebende Lyriker der Schweiz. Der reformierte Pfarrer gilt seit den 1950er Jahren zudem als analytischer Beobachter des politischen Klimas seiner Heimat. Bekanntgeworden ist er durch seine in aggressiven Sprachwitz verpackte Gesellschaftskritik. Marti, der in seiner Geburtsstadt Bern lebt, wird am 31. Januar 90 Jahre alt.

Der auf Bildern stets freundlich und hellwach blickende, hoch gewachsene Herr mit großer Brille verfasste seit seinem ersten Band "Boulevard Bikini" (1958) Hunderte Gedichte, viele in Berner Mundart. Sein Spektrum reicht von Naturlyrik zu konkreter "engagierter" Poesie. Hinzu kamen Essays, Kurzgeschichten und ein Roman.

Leser würdigen seine schwebende und spielerische Leichtigkeit der Sprache. Der Träger vieler literarischer und theologischer Preise schreibt in verschiedenen Welten, in den "hohen" und "tiefen", in denen des "Geistes und in denen des Fleisches", urteilt die "Neue Zürcher Zeitung".

Auf die Frage, ob er sich mehr als Theologe oder Schriftsteller fühle, sagte Marti einmal: "In mir ist beides eng beieinander." Er will jedoch nicht in die Schublade "christlicher Dichter" gesteckt werden. Der evangelische Theologieprofessor Eberhard Jüngel nannte Marti einen "Theopoeten", dessen Texte theologisch und poetisch zugleich sind. Und der aus Luzern stammende Schriftsteller Peter Bichsel würdigt ihn als "großen Meister" der Literatur: "Bei kaum einem anderen habe ich so viel gelernt."

Zur Theologie kam der 1921 geborene Marti nach eigenen Worten wie "die Jungfrau zum Kind". Unter seinen Vorfahren hatte es "Bauern, Gemeindeschreiber, Kaufleute, Ärzte, Handwerker, ab und zu auch Tunichtgute und Bankrotteure gegeben, nie jedoch einen Pfarrer".

Von der Theologie versprach sich der Sohn eines Notars Einblicke in die großen Lebensrätsel. Insgeheim, bekennt er, habe er sich sogar so "etwas wie Erleuchtung" erhofft. "Erleuchtung worüber? Über alles! Nicht zuletzt auch über sich selbst".

Trotz zu "geringem Brustumfangs und obgleich Brillenträger mit einer bedenklichen Sehschwäche des rechten Auges" wurde er in den ersten Januartagen 1940 als diensttauglich für die Infanterie befunden, erinnert sich Marti in seiner Autobiografie "Ein Topf voll Zeit" (Nagel & Kimche), zugleich ein Zeugnis der Schweizer Geschichte zwischen 1928 und 1948. Die Folgen des Krieges erlebte er in den 1940er Jahren im Pariser Büro der ökumenischen Kriegsgefangenenseelsorge.

Der Vater von vier Kindern wetterte früh gegen den Kalten Krieg sowie antiliberale Einstellungen seiner militärisch neutralen Heimat. Er engagierte sich bald gegen den Vietnamkrieg, agitierte gegen Atomwaffen und Atomenergie, warnte vor der Zerstörung der Alpen oder prangerte das Elend in Entwicklungsländern an. Das verhalf ihm in seinem eher konservativen Umfeld zuweilen zum Ruf, er sei Kommunist oder christlicher Marxist.

Nicht zuletzt aus diesen Gründen scheiterte wohl in den 1970er Jahren eine Berufung Martis auf einen theologischen Lehrstuhl für Predigtlehre seiner Heimatstadt Bern. Als Seelsorger und Autor vertritt der Schüler des Schweizer Theologen Karl Barth (1886-1968) ein zeitgemäßes aufgeklärtes Christentums ohne falsche Tröstungen. Die christliche Religion dürfe nicht in der Institution Kirche erstarren ("Der Heilige Geist ist keine Zimmerlinde"). Als Grundton durchzieht sein Werk die Einsicht in die Ohnmacht des Menschen angesichts der zerstörerischen Tendenzen seiner Zeit.

In seinen berühmten "Leichenreden" (1969) heißt es nüchtern: "betrauern wir diesen mann / nicht weil er gestorben ist / betrauern wir diesen mann / weil er niemals wagte / glücklich zu sein." In einem Kirchenlied, das seinen Weg ins Evangelische Gesangbuch fand, hofft Marti auf eine "Welt ohne Leid, / wo Gewalttat und Elend besiegt sind."

Nach einem Berufsleben als Pfarrer, dem Verlust seiner Frau Hanni Marti-Morgenthaler vor drei Jahren und dem Erreichen eines biblischen Alters hat Kurt Marti offenbar einen nüchternen Blick auf die Ewigkeit entwickelt: "Ob es einen Sinn hat, dass wir alle auferstehen und nachher im Himmel wieder begegnen, daran zweifle ich", sagte er unlängst in einem Interview der "Berner Zeitung". Bei Beerdigungen habe er immer gesagt, er wisse nicht, ob es ein Jenseits gibt: "Ich kann nicht recht glauben, dass wir als Individuen weiterexistieren. Gott weiß, was er mit mir macht, und ich weiß es nicht."

(epd)