Mit heißem Tee gegen Minusgrade und soziale Kälte

Frankfurter Kältebus auf dem Weg zu obdachlosen Menschen

12. Dezember 2010

Frankfurter Kältebus auf dem Weg zu obdachlosen Menschen (Foto: Mascha Schacht)

Am Eingang zum U- und S-Bahnhof Hauptwache steht eine Gruppe Jugendlicher. Dick eingemummelt in ihre Daunenjacken lassen sie die Weinflasche kreisen und beraten darüber, wie die weitere Abendgestaltung aussieht. Während sie gerade erst losziehen, haben sich andere eine Etage tiefer schon zum Schlafen hingelegt: Die B-Ebene der Hauptwache ähnelt heute Nacht einem Zeltlager.

Rund 15 Obdachlose sind mit ihrem bescheidenen Hab und Gut in den Teil der unterirdischen Einkaufspassage gekommen, der dank einer Übereinkunft von Stadtverwaltung und Verkehrsgesellschaft in der kältesten Zeit des Jahres auch nachts offen steht – ein wichtiges Angebot für Obdachlose, da die Hemmschwelle, hierher zu kommen relativ gering ist.

Ein bequemer Schlafplatz sieht anders aus, aber zumindest wird in den muffigen Gängen niemand erfrieren. Über der Erde, bei gerade mal vier Grad plus, sieht das schon ganz anders aus, weiß Peter Nordmann vom Frankfurter Verein für soziale Heimstätten, einem Kooperationspartner der Diakonie: „Wenn die Außentemperatur unter sieben Grad fällt, besteht für die Obdachlosen die Gefahr, im Schlaf zu erfrieren. Besonders, wenn sie Alkohol getrunken haben, denn der erweitert die Blutgefäße und der Körper kühlt noch schneller aus.“

Das zu verhindern, ist das Ziel des 61-jährigen Sozialarbeiters. Zusammen mit seinem Kollegen Dietmar Blum fährt er heute Nacht den Kältebus. Täglich stoppt er um zehn und um zwei Uhr nachts an der Hauptwache. Im Gepäck haben sie Isomatten, Schlafsäcke und warme Decken, außerdem Thermoskannen voll heißem Früchtetee und Schokoriegel. „Am liebsten ist es uns natürlich, wenn wir jemanden überreden können, mit uns in die Übernachtungsstätte im Ostpark zu kommen“, erklärt Blum. Dort finden Menschen ohne Obdach nicht nur jederzeit ein Bett im Warmen, sondern haben auch die Möglichkeit zu duschen und ihre Wäsche zu waschen.

Obdachlos durch Scheidung und Schulden

Dennoch halten sich in Frankfurt selbst bei klirrendem Frost noch Dutzende Menschen lieber unter freiem Himmel auf. Oft weil sie schlichtweg nicht in der Lage sind, Hilfe anzunehmen: „Die meisten Obdachlosen hatten bereits psychische Probleme, bevor sie auf der Straße landeten“, erzählt Peter Nordmann. Bei vielen weiteren führe das Plattemachen selbst dazu, dass sie nicht mehr außerhalb ihres gewohnten Umfeldes leben können, so schlecht dort die Bedingungen auch sein mögen. „Deshalb schaffen auch trotz vieler Hilfsangebote nur schätzungsweise fünf Prozent den Absprung – und selbst wenn, mangelt es an ausreichender Nachbetreuung und sie kehren wieder zurück auf die Straße“, erläutert der Sozialarbeiter.

Dort haben sie wenigstens Freunde, bestätigt Andreas. Er ist am Hauptbahnhof in den Kältebus zugestiegen und wird die Nacht im Ostpark verbringen. „Gestern bin ich auch schon mitgefahren“, erzählt er – was ihm einen kleinen Rüffel von Peter Nordmann einbringt: „Das nächste Mal nimmst Du aber bitte die U-Bahn oder den Bus!“ Denn eigentlich ist der Kältebus nur für Notfälle da und für diejenigen, die die Übernachtungsstätte noch nicht kennen. Ausnahmsweise darf Andreas trotzdem ein zweites Mal in den Ostpark mitfahren.

Hauseingänge – das Zuhause vieler Obdachloser

Andreas ist auch sonst eine Ausnahme, denn er versucht, einen halbwegs geregelten Tagesablauf aufrechtzuerhalten: „Wenn es hell wird, stehe ich auf und hole mir beim Amt erst mal meine zwölf Euro ab“ erzählt er. Mit dem Tagessatz für Obdachlose in der Tasche schaue er dann manchmal im Weser5 neben dem Hauptbahnhof vorbei. Dort gibt es einen Tagestreff und eine soziale Beratungsstelle der Diakonie Frankfurt. Manchmal suche er sich aber auch gleich einen Platz für seine „Sitzungen“, durch die am Tag noch ein paar Euro dazukommen können. „Es ist wichtig, dass man in Bewegung bleibt, das habe ich heute Morgen auch meinem Kumpel erzählt. Der wollte sich nur einigeln, aber ich habe ihm gesagt, nix da, Du kommst jetzt mit“, erklärt er mit einem gewissen Stolz. Vielleicht ist er einer der wenigen, die es tatsächlich schaffen, von der Straße wegzukommen.

Bei anderen haben die Sozialarbeiter diese Hoffnung längst aufgegeben. Ihre Stammklientel kennen sie seit Jahren – und finden sie auch an Stellen, wo auf den ersten Blick niemand zu sehen ist: in winzigen Hauseingängen, unter Pappkisten, hinter einem scheinbar achtlos liegen gelassenen Regenschirm oder in Blätterhaufen. Die Sozialarbeiter können die Spuren lesen, eine Plastiktüte oder ein paar Flaschen genügen ihnen als Zeichen. „Nach einiger Zeit bekommt man einen Blick dafür und wir machen das ja schon seit vielen Jahren“, sagt Dietmar Blum. Während sein Kollege den Kältebus durch das nächtliche Frankfurt steuert, notiert der 45-Jährige auf einer Liste, wo überall Obdachlose ihr Lager aufgeschlagen haben. „Auch das hilft uns dabei, unsere Klienten wiederzufinden und einen groben Überblick zu bekommen, wie viele Menschen zurzeit auf Unterstützung angewiesen sind.“

Hilfe anbieten, aber nicht aufdrängen

Der Grundsatz der Kältebusfahrer lautet dabei: „Wir bieten Hilfe an, aber wir drängen uns nicht auf“, betont Peter Nordmann. Insbesondere Menschen mit psychischen Problemen verschrecke man sonst eher und komme dann noch schwerer an sie heran. Doch wer Hilfe möchte, bekommt sie – auch wenn er nicht zum Stammklientel zählt: Am Stadtrand nehmen einige Prostituierte dankbar einen Becher Tee und ein paar Schokoriegel entgegen und wünschen den beiden Helfern noch eine gute Fahrt.

Deren Route führt nach einigen Schleifen durch das Bahnhofsviertel und den Innenstadtbereich um zwei Uhr wieder zurück zur Hauptwache. „Feste Zeiten und feste Punkte sind wichtig, damit Hilfebedürftige uns im Zweifelsfall auch finden können“, erklärt Dietmar Blum. Die Zahl der Übernachtungsgäste in der B-Ebene ist mittlerweile auf 24 gestiegen. Blum breitet noch eine Decke über einen Schlafenden, der keinen Mantel und nichts als ein paar Pappen unter sich liegen hat, dann steigen die beiden Helfer wieder in den Bus. Noch drei Stunden haben sie vor sich, ehe auch sie sich schlafen legen können. Doch das stört sie nicht im geringsten, sie sind sich einig: „Wir würden keinen anderen Job haben wollen. Was gibt es Schöneres, als anderen Menschen direkt helfen zu können.“