Vier Celli in Jerusalem

Freiwillige aus Deutschland erleben den Alltag in Israel

08. Dezember 2010

Vier Celli in Jerusalem: Freiwillige aus Deutschland erleben den Alltag in Israel (Foto: privat)

Rezeptionsdienst, Botengänge, Vorbereitung und Mitorganisation von kulturellen Veranstaltungen gehören zu Rebeccas Alltag in Jerusalem. An der evangelischen Erlöserkirche mitten in der Altstadt arbeitet sie freiwillig für ein Jahr. Auch an den Kindergottesdiensten, Mittagsandachten in der Erlöserkirche und dem wöchentlichen Cafedienst in dem Begegnungscafe „Auguste Victoria“ auf dem Ölberg wirkt sie mit. Denn die Aufgaben für die deutschsprachige Gemeinde und die die Gebäude unterhaltende Jerusalem-Stiftung sind vielseitig – auch für die Volontäre und Volontärinnen, die im Rahmen des Programms „Anderer Dienst im Ausland“ hier arbeiten.

Als wäre es geplant gewesen, haben sich dabei vier junge Menschen in Jerusalem getroffen, die alle ihr Cello dabei hatten. Im neugegründete Celloquartett spielen: Clemens Rengier, Volontär in der Schmidtschule in Ostjerusalem, Sebastian Rappen, Volontär in der Musikschule Al-Kamanjati in Ramallah, Lena Wirth, Abiturientin, die ihre Aufnahmeprüfung in Deutschland vorbereitet, und Rebecca Geiger, die an der Erlöserkirche mitarbeitet.

Doch nicht nur von der Musik sind die Vier gefesselt. Wenn sie sich treffen, tauschen sie sich über ihre Erlebnisse aus. Auch die politische und gesellschaftliche Situation in Israel, auf der Westbank und vor allem in und um Jerusalem kommt dabei in den Blick. Sie erfahren tagtäglich, wie sehr Jerusalem Schnittstelle zwischen Israelis und Palästinensern, zwischen Juden, Christen und Muslimen ist – auch in dem Sinn, dass Menschen voneinander abgeschnitten werden und einschneidende Eingriffe in ihrem Alltag hinnehmen müssen.

„Es gibt so viele Situationen, die wir als Volontärinnen und Volontäre in diesem Jahr erleben, die mich einfach nur ratlos machen“, berichtet Rebecca. Es sei hart mit anzusehen wie alles Tag ein Tag aus so weiter läuft. „Doch können wir als Volontäre, die ein Jahr hier sind, etwas an dieser Situation ändern?“

Samstag früh, 4 Uhr morgens. Privilegiert durch ihre deutschen Pässe wechseln Rebecca, Lena, Clemens und Sebastian am Checkpoint Bethlehem problemlos auf die palästinensische Seite. Über einen Umweg gelangen sie von dem Tor, das Touristen und Ausländer nutzen können, zu dem Teil des Übergangs, der als einziger den meisten Palästinensern bleibt.

Umgeben von der teilweise acht Meter hohen Mauer und den Sicherheitsanlagen werden hier die Menschen durch schmale Gittertunnel geleitet bis hin zu Drehkreuzen. Dort müssen sie hindurch, um auf die andere Seite der Mauer zu gelangen und dann die weiteren Sicherheitskontrollen zu „durchlaufen“. Mehrere tausend Menschen aus der Westbank. Jeden Morgen das gleiche Spiel. Sie stehen teilweise bis zu drei Stunden, bis sie endlich durch alle Kontrollen gelangt sind. Manche, die aus dem südlichen Teil der Westbank kommen, haben schon eine lange Anfahrt hinter sich. Und manchmal passiert es, dass die Checkpoints geschlossen werden. Israelische Soldaten patrouillieren auf Laufstegen über den Köpfen der Schlange-Stehenden. Andere Soldaten entscheiden – hinter verspiegelten Scheiben unsichtbar –, wer zur Arbeit nach Jerusalem einreisen darf und wer trotz gültiger Genehmigung zurückgewiesen wird. Auch hier das Gefühl der Willkür.

Vor der Intifada waren es zehntausende Palästinenser, die in Israel arbeiteten: in Hotels und Gaststätten, in der Landwirtschaft und auf den Baustellen. Inzwischen vergibt Israel nur noch einige tausend Arbeitsgenehmigungen. Hinzu kommen einige Genehmigungen für medizinische Behandlungen, Reisende und Geschäftsleute. Durch den Bau von Zäunen und Mauern gibt es nur noch wenige Übergänge, durch die Inhaber einer solchen Genehmigung gelangen können. Israel verweist darauf, dass durch diese Sicherheitsanlagen die Zahl der Attentate gegen Israelis deutlich zurückgegangen ist. Kritiker hinterfragen, ob dieser Rückgang allein den Anlagen zu verdanken ist, und weisen darauf hin, dass Millionen Menschen unter den Einschränkungen unschuldig leiden müssen.

Die vier Jugendlichen holen ihre Celli hervor und fangen an zu spielen. Wunderbar ist es zu erleben, wie die Schlange-Stehenden sich freuen. Plötzlich sind lächelnde Gesichter in diesem tristen und demütigenden Alltag zu sehen. Die Palästinenser schenken den Musikern ihr Interesse – und dann auch Sesambrot und Falafel als Frühstück. Es mutet ein wenig skurril an, wie dickvermummt in der morgendlichen Kälte die Deutschen dieses Konzert geben. Klassische Melodien sind hier sonst nicht zu hören. Und das Erstaunen und die Bewunderung wachsen, als das Quartett die Rock-Ballade „Nothing else matters“ der Heavy Metal-Band „Metallica“ auf ihren Streichinstrumenten zum Besten gibt.

„Uns war klar, dass wir diese Situation nicht wirklich ändern können.“, weiß Rebecca: „Doch vielleicht konnten wir den Menschen den tristen Alltag ein wenig erhellen und ihnen zeigen, dass sie nicht vergessen werden.“