Groschengrab, Brünnlein und das Gesetz

Hintergründe zum Projekt „Durchsicht der Lutherbibel“

14. Juli 2010

Ausschnitt des Denkmals des Reformators Martin Luther mit der von ihm ins Deutsche übersetzten Bibel in der Hand auf dem Marktplatz in der Lutherstadt Wittenberg. (Foto: epd-bild / Steffen Schellhorn)

Noch vor dem Luther-Jubiläum 2017 soll die überarbeitete Übersetzung des biblischen Urtextes der Öffentlichkeit präsentiert werden. Hierzu hat der Rat der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD) einen Lenkungsausschuss zur Projektkoordination eingesetzt. Doch anders als bei der letzten Revision 1984 ist diesmal nur eine Durchsicht geplant. Hiermit wurden Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler aus den Bereichen Exegese, Praktische Theologie, Liturgik und Germanistik beauftragt.

„Die Lutherbibel stellt ein kostbares theologisches und kulturelles Erbe dar“, erläuterte der Vorsitzende des Lenkungsausschusses, Landesbischof i.R. Dr. Christoph Kähler. Mit diesem Erbe müsse behutsam und sorgfältig umgegangen werden. „Der Wortlaut darf nur dort verändert werden, wo es die Treue zu den biblischen Zeugen zwingend erfordert.“ So gehe es bei der beabsichtigten Durchsicht nicht um eine Revision. „Es ist nicht Ziel der Arbeit, die Lutherbibel modernem Deutsch anzunähern.“  Vielmehr solle jede Veränderung des den Gemeinden vertrauten Klangs der Lutherbibel vermieden werden.

Die Durchsicht bis 2017 wurde vom Rat der EKD beschlossen, da die theologische Wissenschaft in ihren Forschungen über die biblischen Schriften in den letzen 30 Jahren große Fortschritte gemacht hat. Sie konnte dabei auch auf die Erkenntnisse in anderen Wissenschaften wie beispielsweise der Archäologie und der Sprachwissenschaft zurück gegriffen werden. Da aber die Bibel das Grundzeugnis schlechthin des christlichen Glaubens ist, muss auch ein so gewichtiges Werk wie die Übersetzung Martin Luthers immer wieder daraufhin überprüft werden, ob sie dieses Grundzeugnis angemessen und möglichst genau wiedergibt.

Einer der Gründe für die Bedeutung der Bibelübersetzung Martin Luthers ist, dass sie von Anfang an sprachprägend gewesen ist. Doch was geschieht, wenn sich Sprache, das Verständnis für Begriffe und Wendungen wandelt?

Das beginnt bei ganz alltäglichen Dingen: Im Matthäus-Evangelium 10,29 (vgl. Luk 12,6) heißt es in der aktuellen Lutherbibel: „Kauft man nicht zwei Sperlinge für einen Groschen? Dennoch fällt keiner von ihnen auf die Erde ohne euren Vater.“ In der Lutherbibel von 1545 und in allen folgenden Ausgaben bis zum Jahr 1975 steht an dieser Stelle: „Kauft man nicht zwei Sperlinge um einen Pfennig? Noch fällt derselbigen keiner auf die Erde ohne euren Vater.“ (Luther 1545: „Kaufft man nicht zween Sperlinge vmb einen pfennig? Noch felt der selbigen keiner auff die erden on ewrn Vater.“) Interessanterweise wurde also der „Groschen“ in die Übersetzung eingeführt, als es ihn als offizielles Zahlungsmittel in Deutschland schon seit über 100 Jahre nicht mehr gab. Doch er war offenbar in Redewendungen so präsent (z.B. „der Groschen ist gefallen“, das „Groschengrab“, „Parkgroschen“, „Steuergroschen“ etc. ,… ), dass er den „Pfennig“ ersetzen konnte. Nur, wie soll das griechische „Assarion“, eine Münze mit dem Wert des Zehntels einer Drachme, heute bezeichnet werden: als „Cent“ oder wieder als „Pfennig“? Oder sollte man den griechischen Begriff nehmen und so mit allen Traditionen brechen?

Ein anderes Beispiel. Den Psalm 46,5 übersetzt die aktuelle Lutherbibel – fast wörtlich wie Luther 1545: „Dennoch soll die Stadt Gottes fein lustig bleiben mit ihren Brünnlein, da die heiligen Wohnungen des Höchsten sind.“ Die Übersetzung vertauscht gegenüber dem hebräischen Urtext Subjekt und Objekt. Im Hebräischen ist davon die Rede, dass die Brunnen (eher „Kanäle“) die Stadt erfreuen. Und überdies ist beim Blick auf die Formulierungen zu überlegen, ob die Formulierungen „fein lustig" und „Brünnlein" nicht eher an ein Renaissance-Bild als an die Gegebenheiten Jerusalems denken lassen.

Und ein Beispiel dafür, wie sich das heutige bessere Verständnis der griechischen Sprache auswirkt. Im 1. Timotheusbrief 1,8 lautet die Übersetzung in der Lutherbibel: „Wir wissen aber, dass das Gesetz gut ist, wenn es jemand recht gebraucht.“ Die so übersetzte griechische Redewendung bedeutet aber, sich nach dem Gesetz zu richten. Die angemessene Übersetzung wäre dann: „Wir wissen aber, dass das Gesetz gut ist, wenn sich jemand gesetzestreu danach richtet.“ Damit bekommt die Aussage einen anderen Tenor, der aber der Intention des Paulus eher entspricht als bisher.

Die Lutherbibel als das Buch der Evangelischen Kirche soll verlässliche Grundlage für die Bereiche Liturgie, Katechese, Wissenschaft und Kultur bleiben. Dies kann sie nur, wenn sie zuverlässiger Zeuge des biblischen Grundtextes ist. Und dies erfordert eine gründliche Durchsicht unter Beachtung des Grundsatzes: soviel Korrekturen wie unbedingt nötig (Philologisches Kriterium) und so wenig wie möglich (Kriterium Luther-Deutsch).