Im Rollstuhl zum Foto-Shooting

Gelsenkirchenerin ist Model der bundesweiten Diakonie-Kampagne 2009/2010

28. September 2009


Marcella kann keiner was erzählen, von wegen leicht verdientes Geld als Fotomodell. Denn Marcella Onali war kürzlich selbst mit ihrem Rollstuhl und zwei Betreuerinnen aus dem Wichernhaus der Diakonie Gelsenkirchen beim Foto-Shooting. Eine richtige Session in einer eleganten Hotellobby irgendwo in Stuttgart - mit Stylistin, Visagistin und einem anspruchsvollen Fotografen. "Immer musste ich den Mund so komisch machen und den Kopf so drehen, bis der Nacken wehtat", erzählt die 38-Jährige, die eine körperliche und geistige Behinderung hat.

Aber sie ist mächtig stolz darauf, dass sie als bundesweites Diakonie-Model für den Bereich Behinderung ausgewählt wurde. "Ich fühle mich wie Heidi Klum", sagt Marcella mit einem verschmitzten Lächeln hinter dicken Brillengläsern, auch wenn sie keine blonde Mähne hat, sondern dunkles Stoppelhaar. Macht nichts, denn Marcella hat jetzt den Glanz der Scheinwerfer kennengelernt, so wie sie ist. Und ihre Fotos werden demnächst bundesweit in Zeitschriften und auf Plakatwänden, in Bahnhöfen und an Hauswänden zu sehen sein.

Die Bilder sind Teil der Werbekampagne 2009/2010 des Diakonischen Werkes der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD) unter dem Motto "Menschlichkeit braucht Unterstützung". Sie umfasst insgesamt sieben Motive mit Einzelporträts, auf denen es neben dem Thema Behinderung etwa um Migration und Armut, um Kindheit und Alter geht. Jedes Motiv hat eine eigene Headline dabei. "Lass uns Freunde sein" steht etwa auf dem Plakat von Marcella Onali.

Das gefällt ihr gut, denn sie ist ein geselliger Mensch. Im Wichernhaus, einem Wohnheim für Menschen mit Behinderungen des Diakoniewerks Gelsenkirchen und Wattenscheid, nimmt sie mit Vorliebe an den Freizeitangeboten teil: Schwimmen und Tanzen, auch als Rollstuhlfahrerin - warum nicht? Ausflüge machen und Kunsttherapie etwa. Orange, Rot und Gelb - Marcella liebt leuchtende Farben, auf ihren Bildern sind Vögel, Bienen und Blumen zu sehen. So wie draußen vor dem Fenster, beim weiten Blick in die Schrebergärten am Stadtrand von Gelsenkirchen.

Dort wohnt die 38-jährige gebürtige Italienerin seit sechs Jahren, seitdem ihre Mutter schwer erkrankte und sie zunächst vorübergehend ins Wichernhaus kam. Dann lernte sie schnell selbstständig zu werden. "Kann ich bei dir einziehen?" fragte sie den Leiter des Wichernhauses, Stefan Paßfeld, nach dem Tod der Mutter. "Der berühmt-berüchtigte Satz, Marcella ist außergewöhnlich darin, wie sie ihre eigenen Interessen formuliert", sagt Paßfeld und berichtet anerkennend von einer Reihe weiterer Marcella-Initiativen: Handgriffe am Waschbecken in ihrem Zimmer, damit sie sich alleine aufrichten kann, oder eine moderne Gehhilfe namens Easy Walker.

"Wenn ich könnte, würde ich sofort loslaufen", sagt Marcella, und ihre Hände legen sich auf die reglosen Beine, die sie nicht tragen wollen. "Ich hab 'ne Spastik, immer schon." Daran kann auch die beste Pflege nichts ändern. Aber immerhin hat die neue Rolle als Diakonie-Model reichlich Bewegung in ihr Leben gebracht. "Das ist unsere Marcella aus dem Wichernhaus", sagen die Leute in der Werkstatt jetzt manchmal.

In den "Gelsenkirchener Werkstätten für angepasste Arbeit" verpackt sie zurzeit Schrauben. Oder befüllt Duftkissen - wie neulich einmal, acht Stunden am Tag. "Das macht manchmal Spaß und manchmal ist es ziemlich langweilig", sagt Marcella nüchtern. Foto-Shooting in Stuttgart ist spannender, keine Frage.

Immerhin warteten in nächster Zeit noch weitere Events auf die lebhafte Wichernhaus-Bewohnerin: Am 19. September fand der offizielle Auftakt der Diakonie-Kampagne 2009/2010 für die Diakonie Rheinland-Westfalen-Lippe in der Altstadtkirche in Gelsenkirchen statt. Dann wird dort ein großformatiges Plakat von Marcella Onali angebracht, sie selbst ist natürlich auch dabei.

Zwei Tage später feierte Marcella ihren 39. Geburtstag. Und wenn der ganze Trubel vorbei ist, wird sie sich immer noch über ihren neuen Flachbildfernseher freuen, den sie sich vom Fotohonorar gekauft hat. Ob sie dann "Germany s next Topmodel" gucken will? Nein, eher nicht, sagt Marcella. "Lieber Bibi Blocksberg, ich mag am liebsten Zeichentrickfilme." (epd)