Ein Stern für Opa

Preisgekröntes Projekt bietet trauernden Kindern Hilfe

31. Juli 2009


Wenn der der zehnjährige Linus Pormann aus Braunschweig an seinen gestorbenen Opa denkt, blickt er manchmal nach oben in den Himmel. "Ich hab ihm zum Abschied einen Stern geschenkt", erzählt er. "Beteigeuze" heißt der Stern im Sternbild Orion. "Der ist 427,47 Lichtjahre entfernt", weiß Linus. Und doch sorgt der Stern dafür, dass sein Opa jetzt in der Erinnerung immer bei ihm ist. Darüber hat Linus mit anderen in der "Trostinsel" gesprochen, einem Ort für trauernde Kinder und Jugendliche im Hospizhaus Wolfsburg.

Vor zwei Jahren wurde die "Trostinsel" als eines der ersten Projekte dieser Art in Deutschland ins Leben gerufen. Anlass war die Erfahrung, dass fast ein Drittel der Menschen, die im Hospiz starben, zwischen 30 und 60 Jahre alt war, erzählt Initiatorin Rosely Plumhoff (65). So begegneten die Hospiz-Mitarbeiter oft jüngeren Angehörigen und Kindern. "Wir stellten fest, dass die Erwachsenen häufig nicht mit der Trauer der Kinder umgehen konnten", sagt Plumhoff: "Kinder trauern anders als Erwachsene."

Im Hospiz wurde deshalb eine eigene Etage mit drei Zimmern und einer kleinen Küche für trauernde Kinder hergerichtet. Grün, gelb und rot gestrichene Türen führen in helle Räume. Auf einem gelben Sofa mit buntem Himmel, Kissen und Kuscheltieren können die Jungen und Mädchen für sich sein oder etwas lesen. In einer Schatzkiste ist Material zum Basteln, etwa für "Erinnerungssteine". Linus kennt sich hier gut aus. "Ich hab ein Bild gemalt, wie es bei Opa aussieht da oben."

Monatelang ist Linus mit ins Hospiz gekommen, als sich sein Großvater aufs Sterben vorbereitete. Der 77-jährige Maurermeister war unheilbar an Nierenkrebs erkrankt. "Die Kinder haben das unmittelbar mitbekommen, wie er sich gequält hat", erzählt Linus' Mutter Anke Pormann (40). Als seine Eltern noch am Krankenbett saßen, ging Linus mit seiner heute siebenjährigen Schwester Kira oft zur "Trostinsel". "Wenn früher einer gestorben ist, hat man nicht drüber geredet", weiß der Junge. Und fügt fast schon euphorisch hinzu: "Hier macht man richtig was draus, das wird zum Erlebnis."

Für die Sozialpädagogin Andrea Wiedemann (43) sind Äußerungen wie diese typisch für die kindliche Art zu trauern. "Erwachsene springen in das Meer der Trauer hinein, sind darin gefangen und tauchen ganz lange nicht mehr auf", hat sie erfahren. "Kinder dagegen springen in ihre Trauer wie in eine Pfütze und auch wieder hinaus, von einem Moment zum anderen, ohne Rücksicht." Sie könnten sehr traurig sein, aber bald darauf schon wieder in einer Gegenwelt.

Für trauernde Erwachsene ist das manchmal schwer zu verstehen. "Oft ist man selbst beschäftigt mit seiner Trauer und wird den Kindern nicht gerecht", erzählt Linus' Oma Brigitte Pormann (65) aus Wolfsburg. Linus und seine Schwester Kira toben unterdessen singend durch den interreligiösen Andachtsraum des Hospizes und springen lachend auf Matratzen herum.

Wenn Kinder ihre Trauer nicht ausdrücken könnten und den Verlust eines geliebten Menschen nicht aufarbeiteten, könne dies später seelische Folgen haben, erläutert die Wolfsburger Krebsärztin Katrin Heine: "Kinder mit pathologischer Trauerbewältigung können im weiteren Leben nur schwer ihren Platz in unserer Gesellschaft finden." Sie litten unter Problemen in der Schule, Konflikten am Arbeitsplatz und seien häufig in ihren Beziehungen sehr ängstlich und verschlossen.

Allerdings wagten es trauernde Kinder oft nicht, ihre Probleme etwa mit dem überlebenden Elternteil zu besprechen, sagt Beate Alefeld-Gerges vom Zentrum für trauernde Kinder in Bremen. Sie fürchteten sich davor, Vater oder Mutter noch mehr zu belasten. Das wiederum erhöhe den seelischen Druck auf die Kinder. "Einige werden aggressiv, andere ziehen sich zurück. Auch deshalb haben niedersächsische Krebsärzte das Projekt "Trostinsel" in diesem Jahr mit dem Niedersächsischen Krebspreis ausgezeichnet.

Auf einer Wiese auf dem Grundstück einer Kirchengemeinde hat die Initiatorin der Trostinsel, Rosely Plumhoff, einen Erinnerungsgarten eingerichtet. Hier können Kinder neben einer großen Trauerweide Abschiedsbäume pflanzen. An den Zweigen hängen Bänder mit bunten Schleifen, Bildern, Fotos oder einer CD. Linus und Kira haben einen Apfelbaum für ihren Opa ausgesucht.

Linus meint inzwischen, mit seinem Opa im Himmel reden zu können. Er fühlt sich ihm besonders nahe, wenn er zu Hause auf dem Dachboden mit der elektrischen Modelleisenbahn spielt, die Opa so mochte. Durch die "Trostinsel" sei die Verbindung zu seinem Großvater noch gestärkt worden. Ohne solche Hilfe, glaubt er, hätten es Kinder wie er schwerer: "Die sind dann immer wieder traurig."