100 Jahre Jugendherberge

Kletterwand und Internetanschluss statt Schlafsaal und Pfefferminztee

22. Juli 2009


Am Nachmittag war es lange still in der Jugendherberge Garmisch-Partenkirchen. Aber jetzt hat die Rezeptionistin immer mehr zu tun, weil ständig das Telefon klingelt und neue Gäste auf ihre Zimmer wollen. "Die Gruppe aus Polen kommt später? Was? Erst gegen 23 Uhr? - Da müssen wir der Küche Bescheid sagen." Sie legt den Hörer auf. Der Reisebus der polnischen Jugendgruppe steht im Stau. Ein Orchester aus München, drei Familien, zwei Tschechen und Heilbronner Gymnasiasten sind schon da, und die 25 Behinderten mit ihren 20 Betreuern treffen just in diesem Moment ein. Zehn Schwert-Künstler haben schon eingecheckt.

Der Alltag in einer Jugendherberge hat sich geändert, seit dem sauerländischen Lehrer Richard Schirrmann vor 100 Jahren die Idee zur Gründung einfacher Übernachtungsmöglichkeiten für Schüler kam. Es war am 26. August 1909, als er mit seiner Schulklasse beim Wandern in ein Unwetter geriet. Die Nacht verbrachten sie durchnässt in einer Dorfschule. In dieser Nacht entwickelte Richard Schirrmann die Vision, ein Netz von Herbergen für junge Wanderer zu errichten. Drei Jahre später öffnete in der Burg Altena die erste Jugendherberge. Heute gibt es laut Deutschem Jugendherbergswerk bundesweit 556 Jugendherbergen, in denen jährlich etwa zehn Millionen Gäste übernachten.

Die Gäste haben individuellere Wünsche, sind in den vergangenen Jahren etwas ungeduldiger und anspruchsvoller geworden, sagt der Leiter der Garmischer Jugendherberge, Manfred Fellendorf. "Alles muss sofort funktionieren - die Qualität muss stimmen", ergänzt seine Frau Hannelore. Die Ansprüche haben sich verändert: "Die Mädchen haben heute größere Koffer als früher und ziehen sich zwei Mal am Tag um."

Vom modernen Bistro aus erkennt man bei guter Sicht das Wettersteingebirge und die Zugspitze, den mit fast 3.000 Metern höchsten Berg Deutschlands. Die Komplettsanierung der Garmischer Jugendherberge dauerte von 2004 bis 2005 und verschlang knapp sieben Millionen Euro. Jetzt gibt es einen Fahrstuhl, Computer mit Internetanschluss und eine Wetterstation. Ein natur- und erlebnispädagogisches Programm zur Bergwelt, der "Alpine Studienplatz", kann von Schulklassen gebucht werden. Draußen, an der Fassade, hängt eine Kletterwand, professionelle Trainer bieten dort im Sommer Kurse an. Dazu stehen Nachtwanderungen und Alm-Ausflüge auf dem Programm genauso wie Team-Building-Aktionen zur Stärkung der Klassengemeinschaft.

Pro Nacht zahlt man hier zwischen 21 und 30,70 Euro - Voraussetzung ist die Mitgliedschaft in einem Jugendherbergswerk. Die Zeiten der Schlafsäle im Dachboden mit bis zu 60 Kindern sind endgültig vorbei. Es gibt 31 Vierbettzimmer, davon haben 18 eine Dusche und eine Toilette.

"Vor Jahren gab es gerade einmal acht Duschen im Keller", erinnert sich Leiter Manfred Fellendorf. Wie früher muss allerdings jeder sein Bett selbst be- und abziehen. Doch die Bettwäsche braucht man nicht mehr mitzubringen. Vorbei sind auch die Zeiten, zu denen es den heißen Pfefferminztee selbst im Hochsommer aus Blechkannen gab. Heute zapft man sich verdünnten Johannisbeersaft. Zum Essen gibt es natürlich immer wieder Nudeln, die mögen alle, sagt Koch Karsten Kuhlmey. Doch auch Sauerkraut und Rotkraut gehen gut, selbst bei Schülern.

Die polnische Reisegruppe hat tatsächlich um kurz vor 23 Uhr noch Gulasch, Reis und Rosenkohl bekommen, doch danach sind sie sofort ins Bett verschwunden. Es wird wieder ruhig in der Garmischer Jugendherberge. Der Nachtportier macht die Lichter im Bistro aus, um 23 Uhr ist Nachtruhe, sagt er. Morgen früh wollen alle 171 Gäste raus in die Berge. Dann wird es laut, und die Rezeptionistin wird wieder alle Hände voll zu tun haben.