"Leute, guckt her, es geht alles"

Der Gang über die "Himmelsbrücke" des Kirchentages sorgt oben und unten für Nervenkitzel

23. Mai 2009


Wer unten steht, hält zwangsläufig die Luft an. Während sich besonders wagemutige Kirchentagsgäste über die schwankende "Himmelsbrücke" zwischen den beiden Türmen des Bremer Domes tasten, legen fast 70 Meter weiter unten zahlreiche Zaungäste die Köpfe in den Nacken. Meist voller Ehrfurcht starren sie nach oben, die Augen mit der Hand gegen die Sonne abgeschirmt. "Da geht einem das Herz auf", sagt Jutta Schrod (47) aus dem hessischen Hofheim: "Man ist da oben getragen unter Gottes Himmel."

Thomas Krahberg hat die freitragende Brücke soeben überquert: "Eine tolle Sache. Ich habe es wirklich genossen", schwärmt der Bremer im grünen Werder-Dress. Der 48-Jährige war nicht ganz freiwillig aus der Fensterrosette im Südturm geklettert, um die 13 Meter lange Brücke gen Nordturm zu überqueren. Seine Frau Susanne hatte den Trip bei einer Verlosung der Kirchenzeitung gewonnen und ihm nachträglich zur Silberhochzeit am 18. Mai geschenkt. "Für mich wäre das nichts gewesen", bekennt sie lachend: "Ich habe Höhenangst."

Thomas Krahberg nahm die Herausforderung gerne an. Nicht mal ein flaues Gefühl im Magen habe er in der schwindelerregenden Höhe verspürt. "Ich konnte mich eine Woche lang auf den Gang vorbereiten", berichtet er. Schon beim Aufbau der gewagten Seilkonstruktion habe er zugeschaut und sich auf "das tolle Event gefreut. Schließlich kommt da nicht jeder hin". Eine Hand am Sicherungsseil, grüßte er nun huldvoll nach rechts und nach links und spähte hinab in den Bibelgarten auf der Suche nach seiner Frau. "Ich habe jede Sekunde genossen."

Der Andrang der "Himmelsstürmer" ist gewaltig. Dauernd müssen die Helfer Interessenten abweisen und bitten gebetsmühlenartig um Verständnis. Aus Sicherheitsgründen können nur rund 375 Besucher bis zum Ende der Aktion am Samstag den Aufstieg über 265 Treppenstufen wagen. Eine Verlängerung der Aktion sei aus Sicherheitsgründen und Fragen der Versicherung nicht möglich, heißt es beim Kirchentag.

Jeweils in Gruppen von zwölf Personen geht es nach oben. Dann folgt auf der auch sonst für Touristen geöffneten Aussichtsplattform oberhalb des Glockenstuhls unter fach kundiger Anleitung das Anlegen des Klettergeschirres. Die Teilnehmer müssen sich in Geduld fassen. Jeder wird gesichert mit einem Seil samt fest verschraubtem Karabinerhaken, damit in luftiger Höhe niemand auf dumme Gedanken kommen kann. Minute um Minute verrinnt, bis die Teilnehmer endlich auf dem Hosenboden durch die Sandsteinrosette nach draußen auf die Holzbretter der wackeligen Brücke rutschen, sich vorsichtig aufrichten, das Sicherungsseil nachjustieren und den ersten Schritt wagen.

Vor Tagen, berichtet Thomas Krahberg, habe er sich schon vorgestellt, wie es wohl wäre, dem Himmel ein Stück näher zu sein. Und auf der Brücke? "Da habe ich nur gedacht: 'Leute, guckt her, es geht alles.'" Das war der Kick, den sich Susanne Krahberg insgeheim von ihrem Geschenk erhofft hatte. Nach der Silberhochzeit sei alles vorbei, "da kommt nichts mehr", habe ihr Mann immer gesagt. Jetzt habe er zu Beginn des nächsten gemeinsamen Lebensabschnitts gesehen, "dass es immer weiter geht, dass da noch was Größeres kommt".

Tobias Horrer (47) ist Zaungast auf dem Domplatz. Er findet die Aktion "beängstigend". Aber, so sagt er, "zwischen zwei Kirchtürmen zu balancieren, das hat auf jeden Fall mit dem Kirchentag zu tun". Angela Suchow aus Delmenhorst ist als Tagesgast mit Fahrrad nach Bremen geradelt. Sie findet die Idee der "Himmelsbrücke" ganz toll: "Ob ich da rübergehen könnte, weiß ich nicht". Reizen würde es sie aber schon.

Die Begeisterung ist Andrea Johannig (42) ins Gesicht geschrieben. Immer wieder richtet sie den Blick nach oben. "Unser Pastor geht gleich da rüber." Sie ist überzeugt: "Da braucht man Gottvertrauen, trotz aller Seile." Und dann fragt sie: "Tut das was zur Sache, dass unser Pastor katholisch ist?" Wohl kaum wichtig. Am Gottvertrauen sollte es ihm nicht mangeln. (epd)