Klartext von Wolfgang Huber

EKD-Delegation reist in die Türkei

16. März 2009


Das Gelände des ehrwürdigen ökumenischen Patriarchates von Konstantinopel liegt in unmittelbarer Nähe mehrerer Moscheen, entsprechend laut ist der regelmäßige Ruf des Muezzin zu hören. So besteht wenig Gefahr, dass Patriarch Bartholomäos I. vergisst, dass seine orthodoxen Christen in der heutigen Türkei eine verschwindend kleine Minderheit von wenigen tausend Menschen sind. Zwar ist der Patriarch Oberhaupt von etwa 3,5 Millionen orthodoxen Christen, aber die meisten leben außerhalb der Türkei in anderen europäischen Ländern, unter anderem etwa 400.000 in Deutschland.

Der Patriarch, der den Titel „Seine Allheiligkeit“ trägt, empfing am 13. März den Ratsvorsitzenden der EKD, Bischof Wolfgang Huber, samt einer Delegation der EKD, der u.a. Präses Nikolaus Schneider und Marlehn Thieme, Auslandsbischof Martin Schindehütte sowie der EKD-Bevollmächtigte Bernhard Felmberg angehörten. Das Ehrenoberhaupt der orthodoxen Christen weltweit dankte den deutschen Gästen für ihren Besuch, der eine "große Hilfe und wichtige Unterstützung» sei.

In seiner Antwort betonte der EKD-Ratsvorsitzende Wolfgang Huber, dass das Gebiet des Ökumenische Patriarchats ebenso zur Ursprungsgeschichte des Christentums gehöre wie das Heilige Land. Ausdrücklich würdigte Huber den Einsatz von Patriarch Bartholomäus für die Bewahrung der Schöpfung und die vertrauensvolle Zusammenarbeit in der Konferenz Europäischer Kirchen.

Die Beziehung zwischen dem Patriarchat und der türkischen Regierung ist angespannt. Diese Spannung findet ihren sichtbaren Ausdruck in der Tatsache, dass die Ausbildungsstätte der Kirche, das Priesterseminar auf Chalki (türk. Heybeli), einer Insel im Bosporus, seit 1971 auf Anordnung des türkischen Staats geschlossen ist.
.
Die EKD-Delegation besuchte ausgiebig das malerische Kloster „Heilige Dreieinigkeit“, auf dessen Gelände sich das Seminar befindet. Die Gebäude sind in einem hervorragenden Zustand, es könnte morgen der Seminarbetrieb wieder aufgenommen werden, wenn nicht die behördliche Genehmigung fehlen würde. Von 1844 an wurden hier Generationen von orthodoxen Priestern ausgebildet. Die Schließung 1971 durch die türkischen Behörden erfolgte ohne inhaltliche Begründung, sondern nur mit einer juristischen, die jedoch, so Vertreter des Patriarchates im vertraulichen Gespräch, noch nicht einmal den türkischen Gesetzen entspräche.

Abends redete der Ratsvorsitzende Klartext und mahnte eine bessere Verwirklichung der Religionsfreiheit in der Türkei an. In einem Vortrag vor über 250 Menschen im Kaisersaal des deutschen Generalkonsulats zu Istanbul bedauerte Huber, dass es in der Türkei «eine Abstufung religiöser Freiheitsrechte zwischen dem Islam einerseits und den anderen Religionen, das Christentum eingeschlossen, andererseits» gebe. Der Ratsvorsitzende sprach sich für eine religiöse Neutralität des Staates aus. Es müsse «eine klare institutionelle Trennung des Staates und der Religionsgemeinschaften» geben. Allerdings dürfe daraus keine «Gleichgültigkeit des Staates gegenüber dem Wirken der Religionsgemeinschaften» abgeleitet werden. Huber erläuterte das Prinzip der „wohlwollenden Neutralität“, welches bedeute, dass er Staat Religion «ohne falsche Parteinahme» fördern solle. Die freimütige Kritik Hubers löste eine lebhafte Diskussion aus.

Ein weiterer Programmpunkt der EKD-Delegation war ein ausführlicher Besuch der deutschen Gemeinde in Istanbul. In einem herzlichen Gespräch mit Pfarrer Holger Nollmann und den Mitgliedern des Kirchgemeinderates konnten sich die Besucher aus Deutschland von dem reichhaltigen Leben der Gemeinde ein Bild machen, das ein breites Spektrum von Kunst und Kultur bis zu engagierter Flüchtlingsarbeit in der Metropole Istanbul entfaltet.

Im Festgottesdienst predigte Bischof Huber über das „Scherflein der Witwe“ (Markus 12, 41-44) und machte mit der Auslegung den Christen in der Türkei Mut. Er sagte: Auch wenn die christlichen Gemeinden in der Türkei heute klein geworden sind wie das Scherflein der Witwe, so behalten sie doch für den Weg der Christenheit eine unersetzliche Bedeutung. Sie bezeugen den christlichen Glauben in der Region, der der Apostel Paulus entstammte und in der er wirkte – der Apostel der Heiden, der den christlichen Glauben auch nach Europa und damit in die westliche Welt brachte. So klein die Zahl der Christen in dieser Region auch heute ist: sie sind Gottes Zeichen für die Freiheit des Evangeliums auch in unserer Zeit und auch an diesem Ort.“

Schließlich reiste die EKD-Delegation weiter nach Ankara, wo sie vom deutschen Botschafter empfangen wurde. Wolfgang Huber hielt eine Vorlesung vor Studentinnen und Studenten der islamischen Fakultät Ankara unter der Überschrift „Herausforderungen des interreligiösen Dialogs. Hermeneutische Fragestellungen“. Darin brachte Huber die moderne historisch-kritische Auslegung der Bibel ins Gespräch mit der neueren Koranauslegung, wie sie unter anderem an der Fakultät Ankara gelehrt wird und die unter dem Namen Ankaraner Schule bekannt geworden ist. Huber markierte die dringliche Aufgabe der modernen Vermittlung theologischer Tradition, einer Aufgabe, vor der sowohl Christen wie Muslime stünden, so: „Muslime wie Christen finden sich vielerorts in Situationen vor, in denen nicht nur die eigene religiöse Tradition, sondern religiöse Tradition überhaupt nicht selbstverständlich ist. Kinder und Jugendliche werden oftmals in ein Umfeld hineingeboren, in dem religiöse Traditionen und Kenntnisse nicht mehr vorgegeben sind. Der nachwachsenden Generation sind oftmals Koran oder Bibel fremd; sie brauchen Erläuterung und Erklärung. Die hermeneutische Herausforderung wird zu einer religionspädagogischen Aufgabe, den eigenen Glauben neu zu vermitteln und verständlich zu machen.

Der Ratsvorsitzende schloss mit der Hoffnung, dass sich christliche und islamische Theologen und Theologien befruchten könnten: „Wenn es gelänge, Koran und Bibel aus dem Blickwinkel einer gemeinsamen globalen Verantwortung und gemeinsamer Aufgaben zu lesen und neu zu verstehen, würde eine neue politische Hermeneutik zu entfalten sein, die nicht nur auf den Überlegungen und Denktraditionen einer Religion aufruht, sondern eine dialogische und kommunikative Perspektive einschließt. Damit liegt eine große Aufgabe vor uns. Dass wir uns ihr stellen, entspricht nicht nur der globalen Verantwortung von Islam und Christentum, sondern auch dem Auftrag, den Gott uns gibt, je an unserem Ort sein Heil und seinen Frieden der ganzen Welt zu bezeugen.“