Rettung vorm Erfrieren

Ein Kältebus bringt Wohnungslose in Notunterkünfte

09. Januar 2009


Die kalten Temperaturen treffen Wohnungslose am härtesten. Notunterkünfte retten über die Nacht, auch Winterspeisungen sind in mehreren Städten angelaufen. Aber jeder kann helfen, wenn er Wohnungslose sieht, die trotz der aktuellen Kälte noch im Freien übernachten, indem er die Obdachlosenhilfe in seiner Stadt oder Gemeinde verständigt. „Wenn es vor Ort keine Anlaufstellen für Obdachlose gibt oder diese den Bürgen nicht bekannt sind, können auch Polizei und Feuerwehr informiert werden", so Hermann Pfahler von der Evangelischen Obdachlosenhilfe, die als Fachverband des Diakonischen Werkes der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD) organisiert ist. Zudem bittet Pfahler darum, Schlafsäcke und Winterkleidung zu spenden.

In Frankfurt ist nachts sogar ein Kältebus im Einsatz. Peter Nordmann fährt ihn in dieser Nacht. Gemeinsam mit seinem Kollegen Oliver Kadronski ist er von 21 bis 5 Uhr in Frankfurt unterwegs, hält Ausschau nach Obdachlosen, bringt sie in Notunterkünfte und versorgt sie mit dem Nötigsten. Seit 17 Jahren gibt es den Kältebus des Frankfurter Vereins für soziale Heimstätten, unzählige Menschen sind durch ihn vor dem Erfrieren gerettet worden. Etwa 100 Menschen leben trotz der Kälte in Frankfurt noch auf der Straße.

Startpunkt der nächtlichen Tour ist die Obdachlosenunterkunft im Frankfurter Ostpark. Bis zu 170 Männer und Frauen kommen hier in Zwei- und Vierbettzimmern unter. Auch ihre Tiere, meistens Hunde, dürfen sie mitbringen. Nur an wenige Regeln müssten sich die Obdachlosen halten, etwa was den Konsum von Drogen angehe, sagt Elfi Ilgmann-Weiß, die ebenfalls Touren mit dem Kältebus fährt. "Wir möchten niemanden abschrecken."

Oliver Kadronski und Peter Nordmann stellen ein paar Thermoskannen Tee in den Kofferraum des weißen Minibusses, auch warme Kleidung und einen Schlafsack haben sie eigentlich immer dabei. Dazu einige Schokoladenriegel, auf denen ein gelber Zettel klebt. "Ein Gruß vom Kältebus. Wir sind für Sie da", steht darauf. Und die Aufforderung "Rufen Sie uns an". Im Kältebus liegt stets ein Handy griffbereit. "Oft informieren uns auch Bürger, wenn sie irgendwo jemanden in der Kälte liegen sehen. Dann fahren wir natürlich sofort dorthin", sagt Nordmann.

Zunächst führt die Tour am Main entlang. Der Kältebus fährt über verschneite Wege, die tagsüber nur Spaziergänger und Jogger nutzen. An einem alten Lösch-Kran macht Nordmann kurz halt. Jahrelang habe darin ein Obdachloser übernachtet, sagt er. In letzter Zeit diente er jedoch nicht mehr als Schlaflager. Dennoch schaut der Sozialarbeiter immer mal wieder vorbei. Während er den Bus lenkt, blicken er und sein Kollege Kadronski stets konzentriert rechts und links aus dem Fenster. "Manchmal braucht es schon detektivischen Spürsinn, um die Obdachlosen zu finden", sagt Kadronski. Und dennoch ist er überzeugt: "Wenn man sie sehen will, sieht man sie auch."

Nach einigen hundert Metern stoppt Nordmann den Minibus. Oliver Kadronski steigt aus und geht zu einer Mainbrücke aus rotem Sandstein. Ein großer Haufen Laub ist darunter aufgeschüttet. Acht bis neun Obdachlose hätten dort im Sommer geschlafen, jetzt im Winter immer noch einer. Etwas weiter, unter einem Baum, findet Kadronski einen Regenschirm und einen Schlafsack. "Das gehört ihm", sagt der 44-Jährige und hält Ausschau. Doch von dem Obdachlosen gibt es keine weitere Spur.

"Wir wissen manchmal einfach nicht, wo die Menschen bei diesen Temperaturen sind. Wir hoffen immer nur, dass sie an einem Platz sind, an dem es ihnen gutgeht", sagt Elfi Ilgmann-Weiß und blickt auf die Frankfurter Bankentürme, die hinter der Main-Brücke hellerleuchtet in den Himmel ragen. "Arm und reich liegen in dieser Stadt sehr eng beisammen", sagt Oliver Kadronski.

Joachim gehört zu den Armen. Warum genau er schon seit mehreren Jahren auf der Straße lebt sagt der Mann, der mit seinen roten Haaren und den wachen Augen aussieht wie der Schauspieler Otto Sander, nicht. "Eigene Blödheit. Habe auch zu spät auf Behörden reagiert", murmelt er nur. Trotz niedrigster Temperaturen schläft er lieber im Freien, die Apotheke in der Frankfurter Innenstadt ist sein Stammplatz. Gelegentlich stärkt er sich aber doch mit einem Tee aus dem Kältebus. "Der da ist schon in Ordnung", sagt der 60-Jährige und zeigt auf Peter Nordmann.

Der hat ein paar Meter weiter inzwischen einen anderen Obdachlosen entdeckt. Das Angebot, in einer Notunterkunft zu übernachten, nimmt der Mann gerne an. Da er sich selbst kaum auf den Beinen halten kann, stützen ihn Nordmann und Kadronski auf dem Weg zum Kältebus. Der Obdachlose wird die Nacht im Wohnheim im Ostpark verbringen - im Warmen. Währenddessen fahren Peter Nordmann und Oliver Kadronski weiter durch die eisige Nacht. Stets Ausschau haltend nach Menschen, die es vor dem Kältetod zu retten gilt. Vier sind es, die sie in dieser Nacht in die Notunterkunft bringen.

Aufgrund der niedrigen Temperaturen seien die Notunterkünfte für Obdachlose aktuell stark gefüllt, beurteilt Pfahler die aktuelle Lage. Vor allem in Großstädten gebe es solche speziellen Angebote der Kältehilfe. Schwieriger sei aber die Situation in ländlichen Gebieten, in denen Anlaufstellen für Obdachlose häufig fehlten. Evangelischer Obdachlosenhilfe geht es neben akuter Nothilfe auch darum, Menschen miteinander ins Gespräch zu bringen und Bewusstsein zu verändern. Nächste Woche wird  beispielsweise die Stuttgarter Leonhardskirche, die schon im Mittelalter Pilger und Gefangene beherbergte, zur „Vesperkirche“ umgebaut, dass morgens heißer Kaffee und Tee ausgeschenkt werden kann. Wer eine Nacht im Freien hinter sich hat, erhält Decken und kann sich auf die Kirchenbänke schlafen legen. Drei Ärztinnen versorgen  die Besucherinnen und Besucher medizinisch. Aktionen und feste Angebote zur Begegnung und ein hochkarätiges Kulturprogramm – die Künstler treten ehrenamtlich auf - gehören zum Konzept der Vesperkirche. Da kochen Gruppen für die Gäste der Vesperkirche oder ein Bankhaus schickt seine Auszubildenen, um ihnen andere Lebenswirklichkeiten jenseits von „Aktiva und Passiva“ nahe zu bringen. (mit epd)