Gemeinsames Wort der Kirchen

Woche der ausländischen Mitbürger 2004

08. Juni 2004


Wo ist dein Bruder Abel?« – diesen Frage Gottes an Kain bleibt überzeitlich aktuell. Aktuell bleibt auch die Antwort Kains: »Ich weiß es nicht, bin ich der Hüter meines Bruders?« (Genesis 4,9) Wo diese Grundhaltung um sich greift: »Was geht mich der andere Mensch an?«, da wird menschliches Miteinander zerstört, da hat der Mensch kein Zuhause mehr. Vor diesem Hintergrund rückt das Schutzgebot gegenüber Fremden und Flüchtlingen in das Zentrum des Evangeliums. Die Woche der ausländischen Mitbürger/Interkulturelle Woche steht auch in diesem Jahr unter dem anspruchsvollen Motto »Integrieren statt ignorieren«. Sie erinnert uns daran, dass es sich bei der angestrebten Integration nicht um ein herablassend gewährtes Geschenk handelt, das wir nach Belieben anbieten oder verwehren können. Zuwanderer gehören zur Wirklichkeit unserer Gesellschaft. Wir können und dürfen sie als unsere Mitbürgerinnen und Mitbürger nicht einfach ignorieren, übersehen, links liegen lassen. Das lehrt uns auch der Blick auf die eindeutigen Aussagen der Bibel, wo es z.B. heißt: »Er (der Herr, euer Gott) liebt die Fremden und gibt ihnen Nahrung und Kleidung; auch ihr sollt die Fremden lieben, denn ihr seid Fremde in Ägypten gewesen.« (5. Mose 10,19)

Vor mehr als einem halben Jahrhundert wurden in Deutschland die ersten sogenannten »Gastarbeiter« angeworben. Vor mehr als 25 Jahren stellten die Kirchen fest: »Die Bundesrepublik ist zu einem Einwanderungsland geworden«. Über Jahrzehnte hinweg wurde die Politik aber von der gegenteiligen These bestimmt. Deutschland sei kein Einwanderungsland, so hieß die Behauptung. Die Realität der Einwanderung wurde verdrängt. Noch immer ist das Ausländer- und Asylrecht weithin in erster Linie auf die Abwehr von Migranten eingestellt.

In dem Entwurf für ein Zuwanderungsgesetz deutet sich – wie bereits vorher mit dem Bericht der unabhängigen Kommission Zuwanderung – ein Konsens aller politisch und gesellschaftlich prägenden Kräfte über die rechtliche Regelung einer begrenzten Zuwanderung und verstärkter Integrationsbemühungen an. Am Ende des langwierigen Verhandlungsweges über das Vermittlungsverfahren wird ein Kompromiss zwischen den Parteien sichtbar, der jedoch nicht dazu führen darf, den Flüchtlingsschutz gegenüber dem Gesetzentwurf abzuschwächen.

Auch im Bereich der europäischen Migrationspolitik geben einige restriktive, einseitig auf die Abwehr von Migranten zielende Tendenzen Anlass zur Wachsamkeit. Umso wichtiger ist es, sich auch in diesem Jahr durch die Woche der ausländischen Mitbürger/ Interkulturelle Woche an die grundlegenden, im biblischen Zeugnis verwurzelten Werte erinnern zu lassen. Leitend für die Kirchen ist das christliche Menschenbild, wonach jeder menschlichen Person als Ebenbild Gottes die gleiche Würde zukommt. Wenn wir die Arbeitskraft von Migranten in Anspruch nehmen wollen, müssen wir ihren elementaren Rechten Rechnung tragen; wenn wir ihre Integration wollen, müssen wir auf ihre eigene kulturelle und religiöse Tradition Rücksicht nehmen. Wohl erwogene eigene Interessen dürfen uns nicht blind dafür machen, wenn aus Gründen der Menschlichkeit unsere Hilfsbereitschaft gefordert ist. Deshalb setzen sich die Kirchen unter anderem für Menschen ohne gültige Papiere ein und verwenden sich dafür, dass die humanitäre Hilfe für sogenannte »Illegale« nicht in den Geruch der Strafbarkeit kommt. Unser Grundsatz heißt, dass kein Mensch der absoluten Rechtlosigkeit ausgeliefert werden darf. Jedem, der Menschenantlitz trägt, soll ein Mindestmaß an rechtlicher Anerkennung zukommen. Ebenso ist der Schutz von Ehe und Familie für die Kirchen ein hohes und wichtiges Gut. Wenn minderjährige Kinder aus ausländischen Familien nicht zu ihren Eltern kommen können, gibt es kaum Gründe, die ein solches Verbot rechtfertigen. Menschen, die bei uns Zuflucht suchen, haben Anspruch darauf, dass ihr Flüchtlingsschicksal gewissenhaft geprüft wird; dazu gehört auch die Möglichkeit der gerichtlichen Überprüfung. Es ist auch nicht hinzunehmen, wenn viele Ausländer, die schon seit Jahren in Deutschland leben, keinen gesicherten Aufenthaltsstatus erhalten und infolgedessen von elementaren Erfordernissen wie z.B. der realen Möglichkeit von Arbeit oder dem Anspruch auf Kinder- oder Erziehungsgeld ausgeschlossen bleiben.

Die Sicht der Kirchen ist nicht nur durch grundsätzliche Erwägungen, sondern vor allem durch die tägliche Erfahrung in der Arbeit mit zuwandernden Menschen und dem Eintreten für ihre Rechte geprägt. Die vielfältigen Erfahrungen, die die Kirchen dabei über Jahrzehnte hinweg gesammelt haben, werden auch in diesem Jahr in die Veranstaltungen zur Woche der ausländischen Mitbürger/ Interkulturellen Woche einfließen. In zahlreichen Gottesdiensten, Feiern und Informationsveranstaltungen werden Ausländer und Deutsche, Zugewanderte und Einheimische gemeinsam deutlich machen, wie integrieren statt ignorieren praktisch gelebt werden kann. Menschlicher Zuwendung und Anteilnahme kommt eine zeichenhafte Bedeutung für die Zukunft unserer Gesellschaft zu. Daher rufen wir zu einer regen Beteiligung an der Woche der ausländischen Mitbürger/ Interkulturellen Woche auf und erbitten dafür Gottes Segen.

Bischof Wolfgang Huber
Vorsitzender des Rates
der Evangelischen Kirche in Deutschland

Karl Kardinal Lehmann
Vorsitzender der Deutschen Bischofskonferenz

Metropolit Augoustinos
Griechisch-Orthodoxer Metropolit von Deutschland