Stellungnahme der DBK und des Rates der EKD

zur UN-Konferenz für Nachhaltigkeit und Entwicklung vom 26.8. – 4.9.2002 in Johannesburg („Rio + 10“)

05. Juli 2002


1. Die Deutsche Bischofskonferenz und der Rat der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD) blicken mit großen Erwartungen auf den Weltgipfel für nachhaltige Entwicklung, der vom 26. 8. – 4. 9. 2002 in Johannesburg/Südafrika stattfinden wird. Denn Fortschritte in der Umsetzung einer global nachhaltigen Entwicklung sind heute eine Überlebensfrage für die Zukunft der Menschheit. In dem Willen, die Bedürfnisse der heutigen Generation zu befriedigen, ohne die Lebensgrundlagen künftiger Generationen zu gefährden, müssen wirtschaftliche Entwicklung, soziale Gerechtigkeit und der Schutz der Umwelt aufeinander abgestimmt werden.

Die Kirchen haben das Prinzip der Nachhaltigkeit, das der Weltgipfel in Johannesburg in den Vordergrund stellt, als Ausdruck christlicher Verantwortung für weltweite, gegenwärtige wie zukünftige Generationen umfassende Gerechtigkeit angenommen (so beispielsweise im Gemeinsamen Wort der Kirchen zur wirtschaftlichen und sozialen Lage in Deutschland vom Februar 1997, in der Schrift „Handeln für die Zukunft der Schöpfung“ der Deutschen Bischofskonferenz vom Oktober 1998 und der Studie „Ernährungssicherung und Nachhaltige Entwicklung“ der Kammer der EKD für Entwicklung und Umwelt). Wir sehen deshalb mit Sorge, dass trotz vielfältiger Bemühungen und einzelner Fortschritte zehn Jahre nach dem ersten „Weltgipfel“ für Umwelt und Entwicklung in Rio de Janeiro die notwendige Trendwende zu einer nachhaltigen Entwicklung noch aussteht:

  • Die weltweite Kluft zwischen Arm und Reich hat sich weiter vertieft: 1,2 Milliarden Menschen leben mit weniger als einem US-Dollar pro Tag in extremer Armut; drei Milliarden Menschen und damit rund die Hälfte der Menschheit leben von weniger als zwei Dollar pro Tag. 800 Millionen Menschen hungern.

  • Die Aufmerksamkeit der Öffentlichkeit richtet sich verstärkt auf die Wettbewerbsbedingungen einer globalisierten Wirtschaft, während ökologische und entwicklungspolitische Belange politisch weniger wichtig wurden.

  • Die weniger wahrnehmbaren, oft mit beträchtlicher Zeitverzögerung eintretenden Auswirkungen menschlichen Handelns auf die Umwelt werden nicht hinreichend beachtet (z.B. Klimaveränderungen, fortschreitender Verlust von Tier- und Pflanzenarten, weiterhin steigende Belastung von Böden und Grundwasser). Die ökologischen Schäden haben ein Ausmaß erreicht, das zu einer dauerhaften, großräumigen und irreparablen Gefährdung der elementaren Lebensbedingungen des Menschen führen kann.

  • In vielen Bereichen werden die durch technische Fortschritte erzielten Einsparungen durch die direkten und indirekten Folgen des wirtschaftlichen Wachstums zunichte gemacht (z.B. in den Bereichen Verkehr und Konsum).


2. Es wird in Johannesburg nicht um grundlegend neue Konzeptionen gehen, sondern um eine konsequente Umsetzung der Beschlüsse von Rio in Politik, Wirtschaft und Gesellschaft. Die in Rio verabschiedete Agenda 21, das „Handlungsprogramm für das 21. Jahrhundert“, und die übrigen Vereinbarungen sind nach wie vor eine unverzichtbare Basis für eine verantwortliche Zukunftspolitik. Die Evangelische Kirche in Deutschland und die Deutsche Bischofskonferenz setzen sich für folgende Prioritäten ein und bitten die deutsche Verhandlungsdelegation in Johannesburg, ihnen Geltung zu verschaffen:

  • für die Bekämpfung der Armut durch einen breiten Ansatz der Ernährungssicherung und des nachhaltigen Schutzes von Boden und Wasser, durch verstärkte Investitionen in Basisdienste der Bildung und des vorsorgenden Gesundheitsschutzes, durch die Stärkung von Menschenrechten und der Demokratie sowie durch faire Handelschancen für Entwicklungsländer im globalen Wirtschaftssystem. Der Zugang zu sauberem Wasser als Voraussetzung für gesundes Leben, wirtschaftliche Entwicklung und Ernährungssicherung wird im 21. Jahrhundert zur Schlüsselfrage der Armutsbekämpfung.;

  • für den globalen Klimaschutz durch schnelle Ratifikation, Umsetzung und Fortentwicklung des Kyoto-Protokolls, das eine Verringerung des CO2-Ausstosses der Industrieländer um insgesamt 5,2 % im Vergleich zu 1990 bis zum Jahr 2005 vorsieht. Die Industrienationen haben hier eine besondere Verantwortung. Die Kirchen unterstützen deshalb die Initiativen in der Europäischen Union, die für eine Klima- und Energiepolitik eintreten, die über diesen Minimalkonsens deutlich hinausgeht. Die konsequente Förderung des Energiesparens, der Energieeffizienz und erneuerbarer Energien in Deutschland und weltweit ist eine unverzichtbare Basis nachhaltiger Entwicklung;

  • für den Aufbau einer ökologisch-sozialen Marktwirtschaft auf nationaler und globaler Ebene durch wirksame nationale und internationale Rahmenordnungen und starke internationale Institutionen, durch aktive Förderung der Nachhaltigkeit von Produktion und Verbrauch in allen Bereichen und geeignete Kontrollmöglichkeiten, durch mehr Eigenverantwortung der Unternehmen, durch einen gerechten Ausgleich der von den Familien erbrachten Leistungen, durch Förderung der heranwachsenden Generation sowie durch eine verstärkte Partizipation und Bürgerbeteiligung auf allen politischen Ebenen;

  • für eine Erhöhung der Entwicklungsfinanzierung durch verbindliche Regelungen zum Erreichen eines Anteils von 0,7 % des Bruttosozialprodukts der Industrieländer für öffentliche Entwicklungshilfe sowie eine breite Umsetzung der 20:20-Initiative, bei der sich die beteiligten Entwicklungs- und Industrieländer gegenseitig verpflichten, 20% des Staatshaushaltes bzw. der öffentlichen Entwicklungshilfe für soziale Grunddienste zu verwenden.


3.  Die Kirchen sind in diesen Handlungsfeldern seit langem engagiert. Sie sehen sich durch die UN-Konferenzen in Rio de Janeiro und Johannesburg verstärkt in die Pflicht genommen, ihre eigenen Anstrengungen in diesen Handlungsfeldern konzeptionell wie praktisch weiter zu intensivieren. Aus den Quellen des christlichen Schöpfungsglaubens und Menschenbildes sowie durch das Zeugnis des eigenen Handelns können sie die nötigen Kräfte in unserer Gesellschaft stärken und zur Ermöglichung einer zukunftsfähigen Politik beitragen. Bei diesem Engagement sind folgende Akzente wesentlich:

  • Wertorientierung: Die christlichen Kirchen treten für eine weltweite Verständigung über die ethischen Grundlagen einer nachhaltigen Gesellschaft ein, wozu unter anderem die Anerkennung des Eigenwertes aller Geschöpfe, das Eintreten für die unbedingte Würde des Menschen, Initiativen für eine verantwortliche Gestaltung der Globalisierung sowie der Einsatz für Gerechtigkeit für die Ärmsten und für die künftigen Generationen gehören. Wesentliche Elemente der nachhaltigen Entwicklung haben die Kirchen im Rahmen des ökumenischen Prozesses für Frieden, Gerechtigkeit und Bewahrung der Schöpfung aufgenommen. Das Leitbild der nachhaltigen Entwicklung gehört zum Kernbestand christlicher Sozialethik. Dessen konkrete Bedeutung muss zusammen mit anderen ethischen Prinzipien für alle kirchlichen Handlungsfelder ausformuliert werden. Die Verständigung über die Bedeutung dieses Leitbildes muss auch im interreligiösen Dialog gesucht werden.

  • Nachhaltiger Lebensstil: Die Kirchen tragen dazu bei, eine Politik des ökologischen Strukturwandels möglich zu machen, wenn sie immer wieder aufrufen, den eigenen Lebensstil zu überdenken. Das christliche Menschenbild bietet vielfältige Ansätze für einen Gewinn an Lebensqualität durch die Unterscheidung von „gut leben“ und „viel haben“. Ein nachhaltiger Lebensstil in Verbindung mit entsprechenden Strukturveränderungen im Welthandel ist heute entscheidend für eine Neuorientierung in den reichen Industrienationen selbst.

  • Beispielhaftes Handeln: Es gehört zu den Zielen kirchlichen Handelns, mit zahlreichen praktischen Initiativen den Schöpfungsglauben in alltägliches Handeln zu übersetzen. So gibt es zahlreiche kirchliche Energiesparprojekte, Richtlinien zum energieeffizienten Bauen und Förderprogramme zur Nutzung erneuerbarer Energieträger. Kirchliche Entwicklungshilfe orientiert sich an den Kriterien der Nachhaltigkeit. Zahlreiche Veranstaltungen zu ökologischen und entwicklungspolitischen Themen finden in kirchlichen Bildungseinrichtungen statt. Gemeinden und kirchliche Verbände beteiligen sich an Agenda-21-Prozessen. Derzeit wird deutschlandweit ein ökumenisches Projekt zum „Kirchlichen Umweltmanagement“ durchgeführt. Es gibt Initiativen für nachhaltige Lebensstile in Klöstern und Kommunitäten. Viele kirchliche Einrichtungen kaufen Produkte aus fairem Handel und unterstützen Ansätze der Regionalvermarktung und der Verarbeitung von Lebensmitteln aus der Region. In der nächsten Zeit muss es aber gelingen, die vielen Ansätze guter Pilotprojekte in die Breite der kirchlichen Einrichtungen und Aktivitäten zu übertragen.

Wir sehen in einer Beteiligung an der Weiterführung des Rio-Prozesses für eine nachhaltige Entwicklung eine zentrale Verpflichtung und Chance für eine Zukunft in Solidarität und Gerechtigkeit. Entwicklungs- und Umweltschutzfragen werden immer mehr zu strategischen Überlebensfragen für die Zukunft der Menschheit. Ihre Gewährleistung ist vorsorgende Friedenspolitik. Der Rat der Evangelischen Kirche in Deutschland und die Deutsche Bischofskonferenz setzen sich für die Ermöglichung einer solchen neuen Politik ein und ermutigen alle Christen, durch entschlossenes Handeln Zeugnis von der Liebe Gottes zu seiner Schöpfung abzulegen. Sie fordern die Verhandlungsdelegationen in Johannesburg auf, ein entschiedenes Zeichen zu setzen und ihrer Verantwortung für die Politik des 21. Jahrhunderts gerecht zu werden.

Bonn/Hannover, den 5. Juli 2002