Eine Kirche zieht zu ihrer Gemeinde

Einweihung der neuen Christuskirche der evangelisch-lutherischen Kirche in Lima (Peru)

21. April 2015

Einweihung der neu erbauten Christuskirche in LIma, Peru
Fotos: Gerhard Gremmelspacher (Lima)

Dichter Nebel hängt noch über der Stadt, als ich morgens aus dem Fenster schaue. Typisches Wetter für Lima, das direkt an der Pazifikküste liegt. Bis Pfarrerin Anke Fasse kommt und mich abholt, hat es die Sonne geschafft, die Nebelschleier zu zerreißen. Das herrliche Sommerwetter passt zum Anlass meines Besuchs: Die neue Christuskirche der evangelisch-lutherischen Kirche in Peru soll einen Tag später eingeweiht werden.

Im Internet konnte ich beobachten, wie der Kirchenbau langsam wuchs. Gespannt saß ich immer wieder an meinem Schreibtisch in Hannover und sah, wie das Fundament gegossen wurde. Wie die Wände hochgezogen wurden. Wie die Verblendung aus roten Ziegelsteinen angebracht wurde. Heute soll ich das alles also endlich ganz real sehen.

Gemeinsam mit dem Pfarrehepaar Fasse und einigen Gemeindemitgliedern gestalte ich den Gottesdienst. Von der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD) bringe ich ein Grußwort der Bischöfin Petra Bosse-Huber, Leiterin der Hauptabteilung Ökumene und Auslandsarbeit im Kirchenamt der EKD, und eine Kerze für den Raum der Stille mit – Zeichen der Verbundenheit der EKD mit der Gemeinde in Lima.

Wir schlängeln uns mit dem Auto durch den chaotischen Straßenverkehr und halten vor dem gut bewachten Eingangstor des Kirchengeländes. Der Wächter öffnet uns das Tor und mein Blick fällt auf eine gepflegte Gartenanlage, aus der exotische Blüten leuchten. Unser Weg führt durch einen hohen Gang mit gedämpftem Licht, zwischen der Kirche und den verglasten Büroräumen und Gemeindesälen hindurch, in den hellen Innenhof. In allen Räumen riecht es noch ganz neu nach dem dunklen Holz, mit dem Fußböden und einige Wände edel verkleidet sind.

“Kommet her zu mir alle – Venid a mi todos“

Als ich vor dem Kircheneingang stehe, bin ich bewegt: Über der Tür wurde der Schriftzug aus den großen Buchstaben angebracht, die auch schon die alte Christuskirche geschmückt hatten: “Kommet her zu mir alle – Venid a mi todos.“ Viel Zeit zum Staunen habe ich nicht, da die Probe für den nächsten Tag beginnt und noch manches Detail zu regeln ist. Das schöne Lesepult, das ganz neu glänzt, hat nichts, wo man ein Parament befestigen kann. Der Schreiner, der noch mit dem Einbau der Küche beschäftigt ist, eilt herbei und improvisiert eine Haltevorrichtung.

Fähigkeit zur Improvisation ist in Peru immer wieder gefragt, weil manches nicht auf Anhieb funktioniert. Auch für die Baugenehmigung musste der Bauausschuss etliche Hürden nehmen: Es hat mehr als ein Jahr nach dem Verkauf der alten Kirche gedauert, bevor überhaupt der Grundstein der neuen gelegt werden konnte. Nur dem großen Einsatz vom Kirchenvorstand und von Pfarrehepaar Anke und Christoph Fasse ist es zu verdanken, dass alles gelungen ist.

In den Gesichtern Stolz und Tränen

Am nächsten Morgen strahlt die Sonne schon früh vom Himmel und treibt die Besucher, die bereits seit einer Stunde vor Gottesdienstbeginn in den Kirchhof strömen, unter das schützende Sonnendach. Mit Posaunenklängen beginnt dort der Gottesdienst. Dann werden in einem feierlichen Einzug die liturgischen Geräte, die aus der alten Kirche mitgenommen worden waren, in die neue getragen. Vom Kind bis zur Seniorin sind dabei alle Altersstufen der Gemeinde vertreten. Als sie zusammen im Altarraum stehen und dort die Geräte noch einmal präsentieren, wird deutlich, wie vielfältig die Gemeinde ist.

Während der Predigt sehe ich in vielen Gesichtern einen freudigen Stolz, aber auch die eine oder andere Träne. Es ist nicht ganz klar, ob das Tränen der Rührung sind, oder immer noch Trauer über den Abschied von der alten Kirche, mit der die meisten viele Erlebnisse verbinden. Die alte Kirche lag in einem Viertel, das zum Bankenviertel geworden ist, dort wohnen mittlerweile keine Gemeindemitglieder mehr. Für den Neubau hat die Gemeinde daher einen günstigeren Standort gesucht.

Der Taufstein ist mit umgezogen

Ein Gemeindeglied erzählt mir hinterher, dass er sich noch genau erinnert, wie er als Kind bei seiner Taufe zum Taufbecken gelaufen ist. Es bewegt ihn sehr, dass der alte Taufstein mit in die neue Kirche gekommen ist. Als ich nach dem Gottesdienst aus der Kirche trete, finde ich mich mit einem Glas Sekt in der Hand wieder, noch bevor ich überhaupt meinen Talar ausziehen kann. Bei Schnittchen nach deutscher Art sind die Gespräche so lebhaft, dass man kaum den Grußworten folgen kann, aber das tut der Stimmung keinen Abbruch.

Wenige Stunden später sitzen wir auf der Terrasse eines Restaurants, das mit seinen vielen Holzbalken und Kunstwerken aus der Inka-Zeit eine ganz besondere Atmosphäre hat. Das Beste aber ist die Aussicht, die über Blumen und kleine Palmen in Richtung der Lehmziegelruine einer Huaca geht, der Huaca Pucllana. Mit dem Blick auf diese alte Tempelanlage aus der Zeit der Inka erzählen wir uns gegenseitig von den Höhepunkten des Tages, zu denen die Aufführung einer Bachkantate gehörte. Kirchenmusiker Thorsten Mäder war eigens aus Südkorea angereist, um den Gottesdienst zu einem einmaligen Erlebnis zu machen.

Das improvisierte Glockenseil reißt beim ersten Einsatz

Gemeinsam lachen wir darüber, dass das improvisierte Glockenseil abgerissen ist, als der Küster besonders laut die Glocke läuten wollte. Die Glocke, die eigentlich von einer anderen Gemeinde bei der Glockengießerei in Maria Laach bestellt worden war und von ihr dann doch nicht bezahlt werden konnte. Mehr oder weniger zufällig ist Pfarrer Christoph Fasse bei einem Deutschlandaufenthalt dort auf sie gestoßen. So hat sich vieles beim Bau der Kirche aufs Beste gefügt.  

Es wird schon langsam Abend. Über die Lehmziegel der Huaca ziehen Nebelschwaden vom Pazifik und tauchen das verwaschene Lehmgelb in ein milchiges Weiß. Die Tempelanlage hat viele Jahrhunderte überdauert und ist auch noch als Ruine schön. Wie lange wird wohl die neue Christuskirche Menschen berühren?

Friederike Deeg