"Symbol der Menschenliebe“

Interview mit dem Theologen Christoph Markschies, Mitautor des EKD-Grundlagentextes "Für uns gestorben"

30. März 2015

Kreuz vor dunklem Himmel
epd-Bild/Martin Moxter

Jesus ist am Kreuz gestorben, einen schrecklichen Tod. Das Folterinstrument der Antike wurde zum Lebenszeichen – ein nach wie vor aufgeladenes und spannungsvolles Symbol. Es birgt ein Geheimnis – nicht nur für gläubige Christen. Dazu Christoph Markschies, ­Kirchenhistoriker in Berlin und Mitautor des EKD-Grundlagentextes zur Kreuzestheologie „Für uns gestorben“.

Herr Professor Markschies, warum musste Jesus von Nazareth auf so fürchterliche Weise sterben?

Christoph Markschies: Wenn ich es historisch be­antworte: Er musste sterben, weil er die Priester­aristokratie am Jerusalemer Tempel in unerträglicher Weise herausgefordert hatte: Indem er die Händler und Geldwechsler hinauswarf, hat er den Tempel als höchste religiöse Autorität des Landes und seine Opfer­praxis infrage gestellt. Ein Frontalangriff auf das religiöse Establishment, dafür wurde er zum Tode verurteilt.

Für Christen gilt der Tod Jesu nicht als Scheitern, sondern als Schritt in eine positive Zukunft. Wieso?

Markschies: Weil Gott dieser schrecklichen Form der Tötung nicht ausweicht. Er stellt sich vielmehr auf die Seite dessen, dem diese ganze Brutalität widerfährt, ja mehr: Wie der Philosoph Hegel formuliert hat: "Gott selbst stirbt am Kreuz“. Gott identifiziert sich radikal mit dieser Person in dieser kläglichen, aussichtslosen Lage. Er sucht sich keinen Helden, um sich dieser Welt mitzuteilen. Der Tod, in den sich Jesus von Nazareth fügt, ist damit eine Absage an jede Form der Lieblosigkeit, an die über­steigerte Ichbezogenheit des Menschen, an den Missbrauch anderer für eigene Zwecke.

Ist das nicht merkwürdig, dass ein Folterinstrument und nicht etwa ein Siegeszeichen als Symbol einer Religion dient?

Markschies: Nein, das Kreuz zeigt besser als jedes andere Symbol die Lebensnähe, den Realismus dieser Religion. Das Christentum verdrängt nicht, dass die Welt grausam ist. Und es deutet ein Hinrichtungsinstrument um zu einem Lebenszeichen. Schon die ersten Kreuzesdar­stellungen, zum Beispiel an der Tür der römischen ­Kirche Santa Sabina, zeigen das alte Hinrichtungs­instrument als Heilszeichen. Es waren letztlich die Christen, die die Exekution am Kreuz abschafften, auch wenn es dafür ungefähr 300 Jahre brauchte. Durch ­seinen Realismus trug das Christentum zur Humanisierung der antiken Welt bei.

Haben Sie eine theologische Umschreibung für ­die Aussage: "Gott ist für uns gestorben“?

Markschies: Ich umschreibe das so: Gott liebt uns Menschen so sehr, dass er das, was uns am meisten von ihm trennt, nämlich den Tod, nicht zwischen sich und uns stehen lassen will, sondern uns für alle Ewigkeit in seine Gemeinschaft einlädt.

Wollte Gott, dass sein Sohn stirbt?

Markschies: Ich glaube nicht. Aber Gott hat sich von dem Menschen, der diesen schrecklichen Tod, den andere Menschen ihm zufügten, erlitt, auch nicht distanziert. Er hat, so widersprüchlich es auch erscheint, durch diesen Tod das menschliche Leben als letztlich un­zerstörbar erwiesen. So wurde das Kreuz im Licht der Auferstehung Jesu zu einem Symbol der Menschen­liebe, nicht des Untergangs.

Wenn Gott seinen Sohn nicht geopfert hat – hat sich dann Jesus selbst geopfert?

Markschies: So könnte man es sagen. Jesus von Nazareth hat einen Gedanken aus dem Buch des Propheten Jesaja im Alten Testament übernommen: Der Tod des einen schafft die Sünden der vielen weg. Damals wurde Schuld für etwas Gegenständliches gehalten, gleichsam eine bewegliche Last, die man regelrecht aus der Welt schaffen kann. Das ist für uns heute relativ schwer zu verstehen. Wir können uns kaum vorstellen, dass Schuld etwas so materiell Konkretes ist.

Ist es den Menschen überhaupt recht, wenn ein anderer sein Leben für sie verliert?

Markschies: Denken Sie an die Diktatur des Nationalsozialismus: Ein Mensch geht in die Gaskammer, um einen anderen retten. Es gab manche Beispiele in dieser Zeit, und es gibt sie natürlich auch zu anderen Zeiten. Wir sollten nicht von unserer friedlichen Luxussituation heute hierzulande ausgehen. In Syrien oder in der Ukraine sieht das ganz anders aus.

Kann jemand anderes überhaupt meine Schuld tragen?

Markschies: Ja, das geschieht auch heute. Fahren Sie als Deutscher in Länder, die in der Zeit des Nationalsozialismus von Deutschen besetzt und schlimm verheert worden sind. Da merken Sie bald, was es heißt, dass Sie etwas für andere tragen. Das ist keine mythologische Vorstellung aus grauer Vorzeit.

Ist auch das Verbrechen von Auschwitz durch den Kreuzestod Jesu geheilt?

Markschies: Wie sich Gott zu den Tätern von Auschwitz stellt, das wird er uns dereinst schon selbst sagen. Es wäre sehr problematisch, wenn wir Theologen dies Gott vorwegnähmen.

Aber eine Rebellion ist die Kreuzigung Jesu gerade nicht?

Markschies: In gewisser Weise doch. Nicht als politische Rebellion, sondern in einem anderen Sinn, etwa: Vertraut nicht auf die gewaltsame Durchsetzung eurer Interessen! Und: Es gibt Situationen, in denen man sich nur noch Gott überlassen kann. Die Kreuzigung war in der Antike die schrecklichste Form des Todes, das Opfer erstickte langsam und qualvoll. Ein Gehenkter galt als von Gott verflucht. Damit war er zugleich aus den Annalen der Lebenden gestrichen.  

Warum äußert sich die Evangelische Kirche in Deutschland (EKD) jetzt mit einer Schrift zum ­Thema Kreuz? Ist nicht schon alles gesagt?

Markschies: Eine solche Schrift war notwendig, weil viele Menschen Schwierigkeiten mit der Kreuzestheologie haben. Mithilfe dieses Textes können hoffentlich einige von ihnen verstehen, was mit dem Kreuz eigentlich gemeint ist.

Kreuze baumeln am Hals von Popstars, sie werden zu Tattoos, auch Künstler befassen sich mit diesem Symbol. Wie erklären Sie sich die Kraft dieses ­Symbols weit über den Glaubensbereich hinaus?

Markschies: Weil Menschen etwas von dem Geheimnis ahnen, das sich hinter der Kreuzigung dieses einen Menschen vor den Toren Jerusalems verbirgt.

Hätten Sie lieber ein anderes Symbol für das Chris­tentum als das Kreuz?

Markschies: Nein, so realistisch, so stark kann kaum ein anderes religiöses Symbol sein. Im Gegensatz zu anderen Religionen der Antike stehen im Christentum nicht nur
die Sonn- und Feiertage des Lebens im Vordergrund, vielmehr gehört auch der Alltag mit seinen Tiefen und seiner Brutalität dazu. Er wird in die Kirche mit hineingenommen, und damit sind zugleich auch Strategien seiner Bewältigung angeboten.

Das evangelische magazin chrismon (Fragen: Eduard Kopp)