"Du bist schön!" - Zuspruch in der Umkleidekabine

Eine Reportage zum Motto der Fastenaktion "7 Wochen Ohne"

20. Februar 2015

Anett Buschmann hilt Emily bei der Anprobe eines Kleides

Ein wenig unsicher zupft Emily an dem schwarzen Spitzenkleid herum. Die 17-jährige Schülerin dreht sich zum Spiegel, wieder zurück und schaut Anett Buschmann fragend an. "Ist nicht so ganz deins, finde ich", sagt die und ermutigt, noch etwas anderes auszuprobieren. Geduldig bietet die Inhaberin eines Leipziger Bekleidungsgeschäfts ganze Stapel feinster Roben für den Abiball an, bis Emilys Augen zustimmend leuchten und der Blick in den Spiegel ein breites Lächeln hervorruft. Buschmann richtet ihr noch den Ausschnitt am Rückenteil, dann sagt sie schlicht: "Du bist schön!"

"Du bist schön! Sieben Wochen ohne runtermachen", ist das Motto der diesjährigen Fastenaktion der evangelischen Kirche, die am Sonntag in der Leipziger Michaeliskirche offiziell mit einem Fernsehgottesdienst eröffnet wird. Anett Buschmann wird dort von ihren jahrzehntelangen Erfahrungen mit dem nicht immer ganz einfachen Thema Schönheit berichten. Sie kennt die jungen Mädchen, die durch unrealistische Fotos in Magazinen ein ganz bestimmtes Bild von Attraktivität im Kopf haben. Und die älteren Frauen, die unsicher sind, ob sie überhaupt noch wahrgenommen werden.

"Jeder soll das anziehen, was zu ihm passt"

Als Emily mit ihrer Freundin das Geschäft betritt, zieht der Februar-ind kalt durch die Tür. Der Abiball scheint noch weit weg, doch die Kleidersuche hat längst Hochsaison. Die jungen Frauen kennen den Laden mit dem schlichten Namen "Kleider für Weiber" durch Verwandte oder Bekannte, die umfassende Beratung wird geschätzt. Kunden dürfen sich in dem Geschäft aus Prinzip nicht selbst bedienen und klammheimlich in die Kabine zurückziehen – selbst wenn dann mal jemand warten oder später wiederkommen muss. Dass Buschmann ihren Kundinnen immer wieder sagt, dass sie schön sind, hat sich schon vor Jahren eingebürgert. Wo das genau herkam, kann sie nicht recht erklären. Nur eins weiß sie ganz genau: "Das ist meine Aufgabe", sagt sie überzeugt.

Angefangen mit der Mode hat sie schon zu DDR-Zeiten, mit einem kleinen Schneider-Atelier in der überwiegend von Industrie geprägten Gemeinde Böhlitz-Ehrenberg nahe Leipzig. Damals brachten die Kunden die Stoffe für ihre Kleider häufig selbst mit, meist aus dem Westen. "Jeder wollte individuell sein, etwas anderes haben", sagt Buschmann. Heute sei das natürlich nicht viel anders, kein Mädchen wolle bei der Konfirmation das gleiche Kleid wie die Freundin tragen, meint sie. "Das ist ja auch richtig", findet die 59-Jährige, "jeder soll das anziehen, was zu ihm passt."

Auf das Runtermachen verzichten

Um zu erklären, was sie damit genau meint und warum ihr gerade das so wichtig ist, erzählt sie die Geschichte von einem Mädchen, das vor ein paar Jahren in ihr Geschäft kam und ein Kleid für die Konfirmation und eine Tanzstunde suchte. Der Teenager hatte ein Bild aus einer Zeitschrift dabei, von einem wunderschönen Model in einem wunderschönen Kleid. Genau das sollte auch ihr perfektes Kleid sein, genau so wollte sie dann aussehen. "Aber da kann man probieren und probieren – es wird natürlich nie genauso aussehen wir auf dem Bild", sagt Buschmann. Schließlich seien es ganz unterschiedliche Personen, mal abgesehen davon, dass in den Zeitschriften unendlich viel retuschiert werde. "Wir wollen die Kunden ermutigen, kein 'Double‘ zu sein", sagt Buschmann. Schönheit sei doch in erster Linie Ausstrahlung.

Seit mehr als 30 Jahren lädt die evangelische Kirche ein, in der Fastenzeit unter dem Leitspruch "7 Wochen Ohne" nicht nur auf Zigaretten oder Alkohol zu verzichten, sondern sich selbst bewusst mit seinem Leben auseinanderzusetzen. "Du bist schön!" ist in diesem Jahr eine Einladung, an Nachbarn oder Freunden nicht immer nur rumzumäkeln, sondern ihnen auch mal positiv zuzusprechen. Der Zusatz "Sieben Wochen ohne runtermachen" verrät, dass dies nicht immer der Fall ist. Und zwar nicht nur mit Blick auf das Umfeld, sondern auch beim Blick in den eigenen Spiegel.

Keinem Zerrbild von sich selbst hinterherlaufen

So erzählt auch Pfarrer Ralf Günther von der Leipziger Michaelis-Friedenskirchgemeinde in seiner Videobotschaft zum Gottesdienst von Stimmen, die er in sich selbst vernimmt: "Du hast einen ganz schön dicken Bauch" sagen sie, oder "du musst alles genau planen und perfekt sein". Derartige Zweifel regen sich überall, es gibt kaum einen Teil des Alltags oder des Körpers, der nicht optimiert werden könnte. Die Fastenaktion der evangelischen Kirche aber hat sich mit dem diesjährigen Motto zum Ziel gesetzt, das Unverwechselbare zu entdecken und wertzuschätzen. Sie lade ein, aus vollem Herzen zu sagen: "Du bist schön!" – zu den Mitmenschen wie auch dem eigenen Spiegelbild, heißt es von den Organisatoren.

Und Buschmann hat es sich zur Aufgabe gemacht, zumindest jene Stimmen zu verjagen, die ihre Kundinnen immer wieder in der Umkleide ereilen. Sie wolle mit ihrem Zuspruch den Frauen einfach Mut machen, ihre eigene Schönheit zu sehen und keinem Zerrbild von sich selbst hinterherzulaufen. Weil das eben irgendwie ihre Aufgabe ist, sagt sie.

Luise Poschmann