Täufling im Löwenkostüm

Ein karnevalistischer Gottesdienst in Köln

16. Februar 2015

Karnevalsgottesdienst in Köln

Im hochkatholischen Köln müssen Protestanten so einiges erdulden. Zum Beispiel das Karnevalslied des Kabarettisten Jürgen Becker: “Ich bin so froh, dass ich nicht evangelisch bin, die haben doch nichts anderes als Arbeiten im Sinn.” Dem haben die Kölner Protestanten ein eigenes Lied entgegenzusetzen: “Ich bin ein Protslöffel, ich bin ein kölscher Protestant und mach Rabatz.”

Das Lied wird auch von den kostümierten Mitgliedern der Matthäus-Gemeinde in Köln-Lindenthal kämpferisch geschmettert. Am Karnevalssonntag sind sie zum bunten Karnevalsgottesdienst zusammengekommen, um zu beweisen, dass der katholische Karneval auch von den Protestanten inbrünstig gefeiert wird. Die meisten Kirchengemeinden in Köln laden ein zum Karnevalsgottesdienst, bei dem die Menschen kostümiert kommen und neben wenigen Kirchen- vor allem Karnevalslieder singen.

Ein Fass Kölsch vorm Altar

Was Nicht-Kölner oft nicht begreifen können: Von Weiberfastnacht bis Aschermittwoch gibt es in der Stadt weniger Menschen ohne Kostüm als mit. Im Kölner Dom wird der Karneval mit einem karnevalistischen Pontifikalamt eingeläutet, bei dem sich die Karnevalisten den offiziellen Segen von Kardinal Rainer Maria Woelki holen und sogar ein Fass Kölsch vor dem Altar niedergelegt wird. Selbst Woelkis strenger Vorgänger Kardinal Joachim Meisner trug zu diesem Anlass eine Narrenkappe. Kirche und Karneval gehören in Köln untrennbar zusammen. Da verschließen sich auch die Protestanten nicht. “Wir sind ökumenisch integriert”, erklärt Armin Beuscher, Pfarrer in der Matthäus-Kirche. Integration ist das Thema seiner Predigt. “Menschen aus den verschiedensten Kulturen kommen nach Köln. Das Zueinanderkommen ist nicht immer leicht. Doch mit Hilfe der Musik springt der Funke oft über.”

Ein zentrales Lied des Gottesdienstes – und auch des Karnevals – ist daher das hymnische “Unser Stammbaum” von der Traditionsband “Bläck Fööss”. “Su simmer all he hinjekumme, mir sprechen hück all dieselve Sproch”, kann jeder Kölner zwischen sechs und 100 Jahren mitsingen. Ins Hochdeutsche übersetzt heißt es: “So sind wir alle hierher gekommen, wir sprechen heute alle dieselbe Sprache.” So sehen sich die Kölner gerne: als tolerantes Volk, das jeden herzlich aufnimmt. Zumindest jeden, der dem Karneval und somit dem Kölner Liedgut nicht abgeneigt ist.

“Nimm dir ein Herz und sing Halleluja”

Wer glaubt, karnevalistische Lieder würden eher auf eine Ballermann-Party als in die Kirche passen, wird in der Matthäus-Gemeinde an diesem Sonntag eines Besseren belehrt. “Nimm dir ein Herz und sing Halleluja”, heißt es da etwa im Hit der Band Brings. Im Schunkel-Song “Kumm loss mer fiere” gibt es aber auch ernste Strophen: “Unsere Zeit, die ist hart genug, kein Mensch wird daraus klug. Wir schunkeln an den Sorgen schon nicht vorbei, alles hat seine Zeit und nichts ist uns einerlei.”

Zum Kölner Selbstverständnis gehört aber auch die Überzeugung, dass zwar alle Geschöpfe Gottes gleich sind, das “Herrgöttchen” aber seine Kölner besonders gerne mag. “Kölsche Mädcher, Kölsche Junge sin dem Herrjott jut jelunge. Un hä hätt sei ver sich jesaht, die häste fein parat jemaat.” – “Kölner Mädchen und Jungen sind dem Herrgott gut gelungen. Und als er sie so vor sich sah, hat er bei sich gedacht: 'Die habe ich fein hinbekommen.'”

Indianerin und Kreuzritter am Taufstein

Das Lied wird im Gottesdienst Leonard Deiker gewidmet, der zwischen all dem karnevalistischen Trubel von Pfarrer Beuscher getauft wird. So erhält Leonard eine Taufe, die außerhalb von Köln als seltsam wahrgenommen werden würde: Leonard ist als Löwenbaby verkleidet, seine Eltern stehen als Indianerin und Kreuzritter am Taufstein. “Wir lieben den Karneval sehr und fanden die Idee, unseren Sohn während der jecken Tage zu taufen, reizvoll”, erklärt Leonards Vater Markus Deiker. Aber trotz der karnevalistischen Taufe erwarte er von seinem Sohn nicht, dass er irgendwann einmal Karnevalsprinz wird. “Wie sehr er sich dem Karneval öffnet, kann er später selbst entscheiden”, betont er.

Armin Beuscher wünscht sich, dass noch mehr Karneval in der Kirche Einzug hält. “Die rheinische Liedkommission arbeitet bereits daran, 'Kölsche Mädcher, Kölsche Junge’ als offizielles Tauflied zu integrieren”, scherzt er. Er selbst wuchs im Hunsrück auf und lebt seit 30 Jahren in Köln. “Seit 26 Jahren bin ich hier Pfarrer, die kölsche Lebensart habe ich also komplett übernommen.”

Seit 15 Jahren veranstaltet die Matthäus-Gemeinde ihren Karnevalsgottesdienst. Er ist Teil der “Kirche Kunterbunt”, die seit 20 Jahren von einem kleinen Team organisiert wird. “Alle zwei Monate veranstalten wir einen 'Kirche Kunterbunt’-Gottesdienst”, erklärt Teammitglied Andreas Wener. “In diesem Rahmen machen wir besondere und spielerische Dinge im Gottesdienst. Anschließend gibt es dann ein gemeinsames Essen.” Die Idee war vor 20 Jahren, einen Gottesdienst zu schaffen, der besonders familienfreundlich ist.

Die Polonaise zieht durch den Mittelgang der Kirche

Da war es nur logisch, die Kirche Kunterbunt irgendwann an den Karneval zu koppeln. Am Sonntag vor Rosenmontag finden in Köln nämlich die “Schull- und Veedelszöch” statt, bunte Karnevalsumzüge, an denen viele Schulen beteiligt sind und die sich somit vor allem an Kinder richten. So ist der Karnevalsgottesdienst genau die richtige Einstimmung für Familien, ehe sie kostümiert zu den Umzügen pilgern.

In der Matthäus-Kirche hat sich der Gottesdienst gegen halb eins zu einer kleinen Karnevalsparty entwickelt. Senioren, Eltern und Kinder schunkeln eingehakt, tanzen oder schwenken euphorisch mit den Armen. Sogar eine kleine Polonaise zieht durch den Mittelgang der Kirche. In euphorischer Stimmung ziehen die Familien der Matthäus-Gemeinde nach dem Gottesdienst weiter zu den Karnevalszügen. Protestanten sollen nur Arbeiten im Sinn haben? Am Karnevalssonntag in Köln garantiert nicht.

Christoph Mathieu