Jurist, Staatsmann, Protestant

Zum Tod des Politikers und großen "öffentlichen Protestanten" Richard von Weizsäcker

02. Februar 2015

richard von weizsaecker

Berlin (epd). Er war Zeitzeuge fast eines Jahrhunderts deutscher Geschichte - und hat sie über Jahrzehnte mitgestaltet: Der frühere Bundespräsident Richard von Weizsäcker ist im Alter von 94 Jahren gestorben. "Richard von Weizsäcker war ein Welt- und Staatsbürger im besten Sinne", schrieb sein amtierender Nachfolger Joachim Gauck an die Witwe Marianne.

Als Feingeist mit hohen Tugenden und tadelloser Haltung genoss Weizsäcker Respekt weit über die Grenzen von Ländern und Parteien hinweg - das bezeugen die vielen Beileidsbekundungen. Bundeskanzlerin Angela Merkel lobte "seinen hohen Intellekt, seine natürliche Würde". Auch die evangelische Kirche trauert: Sie verlor einen engagierten, aber unbequemen Protestanten, der bis ins hohe Alter Haltung vorlebte.

Geboren am 15. April 1920 in Stuttgart, kommt der Diplomatensohn schon in den Kindertagen in der Weimarer Republik mit Politik in Berührung. Vater Ernst steigt in der NS-Zeit zum Staatssekretär im Auswärtigen Amt auf und steht als Mitwissender der Judenvernichtung vor dem Nürnberger Kriegsverbrechertribunal. Als Hilfsverteidiger tritt sein Sohn Richard auf, der 1945 das Studium der Rechtswissenschaft begonnen hat.

40 Jahre später ist Weizsäcker Bundespräsident und rechnet mit der braunen Diktatur ab wie kein deutscher Staatsmann vor ihm: "Der 8. Mai war ein 'Tag der Befreiung'", sagt er 1985 in der Gedenkstunde zum Jahrestag des Kriegsendes. "Er hat uns alle befreit von dem menschenverachtenden System der nationalsozialistischen Gewaltherrschaft."

Familiengeschichte und deutsche Geschichte

Kein Linker, sondern ein Konservativer sträubte sich gegen das bis dahin vorherrschende Geschichtsbild des "Zusammenbruchs". Es hatte in den ersten Jahrzehnten nach dem Krieg die Aufarbeitung der nationalsozialistischen Schreckensherrschaft gelähmt und in der jungen Bundesrepublik manchen früheren Nazi in höchste Ämter gebracht. Auch Weizsäckers Vorgänger Walter Scheel und Karl Carstens hatten der NSDAP angehört. Nun räumte ein Christdemokrat, der selbst 1939 als Wehrmachtssoldat am Überfall auf Polen beteiligt war, mit Verklärung und Verharmlosung auf. Und er öffnete Türen der Versöhnung, insbesondere mit Israel.

Zwar war Weizsäcker bereits 1954 in die CDU eingetreten, doch zunächst arbeitete der promovierte Jurist in der Wirtschaft, erst für den Stahlkonzern Mannesmann, später für das Bankhaus Waldthausen und das Chemieunternehmen Boehringer Ingelheim. Mit 49 Jahren machte der Vater von vier Kindern die Politik zum Beruf: Er wurde 1969 in den Bundestag gewählt und vier Jahre später Fraktionsvize der Union.

Bereits 1974 kandidierte er für das Amt des Bundespräsidenten. Gewählt wurde aber der Außenminister der sozial-liberalen Koalition, Walter Scheel (FDP). Weizsäcker ging nach Berlin und wurde 1981 Regierender Bürgermeister. Die Bundesversammlung wählte ihn bei seinem zweiten Anlauf am 23. Mai 1984 zum sechsten Bundespräsidenten. Kein Jahr später, am 8. Mai 1985, hielt er seine wichtigste Rede. Sein Biograf Gunter Hofmann führte deren starke Wirkung darauf zurück, dass Familiengeschichte und deutsche Geschichte bei den Weizsäckers ersichtlich zusammengeflossen seien.

Einer der großen "öffentlichen Protestanten"

Als Bundespräsident begleitete Richard von Weizsäcker den Prozess der Wiedervereinigung. Der hochgewachsene Adlige mit dem markanten silbernen Schopf stand dabei im Schatten des "Kanzlers der Einheit", Helmut Kohl. Dabei hatte Weizsäcker schon früh für die Öffnung zum Osten gearbeitet, die letztlich zum Ende des Kalten Krieges führte. Er hatte an der "Ostdenkschrift" der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD) mitgeschrieben, die 1965 einen Verzicht auf die verlorenen Gebiete im Osten propagierte und heftig umstritten war. Von 1964 bis 1970 und abermals 1979 und 1981 stand Richard von Weizsäcker als Präsident dem Deutschen Evangelischen Kirchentag vor. Er galt als einer der großen "öffentlichen Protestanten". Von 1970 bis 1984 saß er im Rat der EKD.

Als Weizsäcker nach zwei Amtszeiten 1994 aus dem Schloss Bellevue auszog, wollte er weiter "erbetene und unerbetene Kommentare abgeben". Er kritisierte zunehmend die Auswüchse des Parteiengezänks, was das ohnehin schwierige Verhältnis zu Kohl weiter trübte. Als "Elder Statesman" blieb er ein gefragter Gesprächspartner und Gast auf internationalen Konferenzen. Mit wachem Blick mischte er sich pointiert, aber stets höflich, in Diskussionen ein, etwa im Beirat der Evangelischen Akademie zu Berlin, dessen Ehrenvorsitzender er war. Die Akademie hat für April ein Symposium zu seinem 95. Geburtstag geplant. Es wird ohne den Jubilar stattfinden müssen.

Thomas Schiller (epd)