Ein Farbtupfer im tristen Alltag

Strafgefangene in Hannover spielen Theater

29. Dezember 2014

Gefangene der Justizvollzugsanstalt Hannover spielen Theater

Hannover (epd). Die Wände sind kahl und das Bühnenbild des ungewöhnlichen Theaters eher spärlich. Zwei Tische stehen vor einem schwarzen Vorhang, ein Projektor wirft Zeichnungen und Liedtexte auf eine Leinwand. Alle Zuschauer tragen eine weiße Plastikkarte gut sichtbar am Oberkörper. Darauf steht "Besucher". Und die vorne schauspielern oder singen, tragen gelbe Identifikationskarten: Sie sind Strafgefangene. In der Kirche der Justizvollzugsanstalt Hannover zeigt die Theatergruppe ihr jüngstes Stück "Der gläserne Mensch". Es geht um die Überwachung ganz normaler Menschen durch Geheimdienste.

"Durch unsere kriminelle Laufbahn sind uns die Abhörthemen schon präsent", erläutert Matthias, einer der Schauspieler. "Aber auch alle anderen sind im Internet gläserne Menschen, darauf wollen wir aufmerksam machen." Schwarz gekleidete Herren mit Sonnenbrillen treten auf und verkünden dem Publikum: "Egal, was sie zuletzt getan haben - wir wissen es!"

Die Theatergruppe sind so etwas wie ein Farbtupfer im grauen Alltag des Gefängnisses. Rund 25 Strafgefangene machen insgesamt mit. Einmal in der Woche dürfen sie für knapp zwei Stunden proben. "Wir haben hier Leute die künstlerisch hochbegabt sind", sagt der evangelische Gefängnisseelsorger Ulrich Tietze.

Der Pastor hat das Theaterprojekt vor elf Jahren ins Leben gerufen. Damals hatte er sofort sechs Anmeldungen auf dem Tisch. 2005 begann er eine Zusammenarbeit mit dem Staatstheater. Seitdem darf sich die Theatergruppe aus dessen Fundus Kostüme für ihre Stücke ausleihen.

Tietze ist so etwas wie Regisseur der Gruppe: Er kümmert sich um die Rolleneinteilung und korrigiert Drehbuchtexte. Ideen und Texte kommen aber ausschließlich von den Gefangenen, betont der Seelsorger. Manche von ihnen entdeckten und entfalteten so ihre Kreativität. "Das ist für viele eine tolle Erfahrung." Gut vier Monate haben sie für ihr neuestes Stück geprobt - eine "Mischung aus Kabarett, Musik und Poesie", wie es heißt.

Matthias hat mehrere Rollen darin. "Ich bin einer der erfahreneren hier", erzählt der junge Mann, der wegen Drogenmissbrauchs einsitzt. Seit mehr als einem Jahr macht er bei der Theatergruppe mit. "Der gläserne Mensch" ist schon sein drittes Stück. Das Theaterspielen ist für ihn eine "Flucht aus dem Haftalltag", sagt Matthias. "Dann habe ich nicht die ganze Zeit nur die Gitter vor Augen."

Denn der Tagesablauf im Knast ist streng geregelt. Um 6 Uhr früh werden die Häftlinge geweckt. Bis 14.30 Uhr arbeiten sie in den gefängniseigenen Betrieben - als Schlosser, Tischler oder Gärtner. Arbeit ist für Strafgefangene Pflicht. Matthias, ausgebildeter Schlosser, baut an Wärmeaustauschern mit. Danach haben die Häftlinge "Freizeit" bis zum Einschluss um 19.30 Uhr.

Neben der Abwechslung geht es aber auch um Resozialisierung. "Für viele hier ist es das erste Hobby ihres Lebens", erzählt Matthias. Das Schauspielern und Singen hier ist eine Anregung, sich später in Freiheit für "normale Sachen" zu interessieren. Wichtig ist auch der Applaus am Ende der Stücke: "Das ist ein Hochgefühl, das ich sonst nie hatte."

Im Publikum sitzen Sozialarbeiter, ehrenamtliche Helfer der Gefängnisseelsorge oder Vollzugsbeamte. Freunde und Verwandte dürfen nicht zuschauen, weil sie den Häftlingen etwas zustecken könnten - dieses Risiko will die Anstalt nicht eingehen.

Neben der scheinbar allgegenwärtigen Überwachung verarbeiten die Häftlinge in dem Theaterstück auch deutschen Behördenwahnsinn oder die Probleme von Afghanistan-Rückkehrern. Zwischen den Szenen singen 15 junge Männern aus dem Kirchenchor Lieder von Hannes Wader oder den "Prinzen" genauso wie das Volkslied "Die Gedanken sind frei" mit teils selbst geschrieben Strophen. Und zum Ende stimmen dann alle zusammen in ein Lied von Marius Müller-Westernhagen ein. Es heißt: "Freiheit".