Fortissimo vor dem Tor

Ein Berliner Komponist begleitet die Fußballspiele der WM auf der Kirchenorgel

18. Juni 2014

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Berlin (epd). Fußball-WM und volle Kirchen - das passt nicht zusammen, meinen viele. Doch in der Berliner Emmauskirche soll schon mit der Partie Spanien gegen Niederlande in der nächsten Woche (13. Juni) das Gegenteil bewiesen werden. Das Gotteshaus bietet zusammen mit dem Komponisten, Pianisten und Organisten Stephan Graf von Bothmer ein Public-Viewing-Erlebnis der spektakulären Art: Fußball-WM-Spiele werden auf Großleinwand übertragen - allerdings ohne Ton. Statt Fernsehkommentatoren begleitet von Bothmer die Spiele live auf der mächtigen Kirchenorgel.

Das Konzept mag zunächst skurril klingen, es geht aber auf. Schon bei vergangenen Europa- und Weltmeisterschaften hatte der Künstler einzelne Spiele mit seiner Orgelmusik begleitet. Die Stimmung im Kirchenschiff war jedesmal hochemotional: Es wird geschrien, gejohlt, gepfiffen, geklatscht. Oft ist das Publikum lauter als die volle Kirchenorgel.

Bothmer weiß allerdings auch, wie man Zuschauer in die richtige Stimmung versetzt. Bekannt ist er als einer der renommiertesten modernen Stummfilm-Komponisten in Deutschland. Er vertont unter anderem Kino-Klassiker wie Metropolis, Dr. Mabuse oder Nosferatu mit Live-Konzerten. Doch hier kennt Bothmer natürlich die Handlung und weiß genau, wann er einen musikalischen Spannungsbogen etwa mit schwermütigen Molltönen oder angespannten Stakkato-Akkorden setzten kann.

Bei seinen Fußball-Konzerten ist das anders. "Ich weiß, dass ich jeden Moment nicht weiß, wie es weitergeht", sagt der Künstler. Wenn er an der Orgel sitzt, verfolgt er selbst das Spiel auf einem kleinen Bildschirm. Alles was er sieht, setzt er musikalisch an der Orgel um. Fouls, Abseits, Strafstoß, Ballwechsel, Tor - die schnelle Abfolge der Spielszenen wird vom Organisten blitzschnell in akustische Signale umgewandelt. Bei besonders dramatischen Spielmomenten - etwa wenn die Lieblingsmannschaft einen Elfmeter vergeigt und Spieler wie Fans den Tränen nahe sind - bläst von Bothmer auch mal auf einer Mundharmonika "Spiel mir das Lied vom Tod". Der Künstler gibt zu, dass er dabei natürlich in die "filmmusikalische Trickkiste greift", um das Publikum in den Bann zu ziehen.

Das dies auch beim Fußball funktioniert, davon war Bothmer anfangs selbst nicht ganz überzeugt. Der Impuls, Fußball-Spiele an der Orgel zu vertonen, sei ursprünglich von der Emmauskirche gekommen. "Die Idee fand ich so absurd, das ich sofort Ja gesagt habe", erzählt der 42-Jährige. Zunächst zweifelte er, ob es möglich ist, ein ohnehin schon spannendes Ereignis musikalisch noch überhöhen zu können?

Doch es klappt. Bei seinem ersten Fußball-Konzert in der Kirche kamen auf Anhieb rund 200 Zuschauer und Zuhörer, zum Schluss waren es mehr als 600 Leute pro Spiel, das Gotteshaus war rappelvoll. Wegen der großen Nachfrage gibt der Künstler in diesem Jahr während der gesamten WM seine Fußball-Live-Konzerte. Allein in Berlin sind bislang fünf geplant, vier davon in Kirchen. Ein Konzert in der Schweiz und im baden-württembergischen Metzingen stehen ebenfalls auf dem Tourenplan. Aber auch andere Kirchen im Bundesgebiet könnten ihn noch kurzfristig buchen, erklärt der Künstler. Einige freie Termine gebe es noch. Für seine Fußball-Konzerte in den Kirchen gibt es freien Eintritt. Als Gage bekommt der Künstler die Spenden der Zuschauer am Ende des Konzerts.

Das Publikum besteht oft aus jungen Leuten, fußballaffinen Frauen, aber durchaus auch eingefleischten Fans "die beim ersten Mal meist nicht so richtig freiwillig etwa von ihrer Freundin mitgebracht werden, später dann aber wiederkommen", sagt der Organist. Die Begeisterung für die Fußball-Konzerte erklärt sich der Künstler mit der "Faszination der Leute" für das "brachial laute Instrument". Er sagt: "Die Orgel ist ein Zwitterwesen, ambivalent wie auch der Mensch. Sie kann himmlische Spähren ausdrücken, aber auch dunkle Seiten der Macht." Mit seinen Orgelkonzerten - das macht Bothmer auch klar - will er den Fußball "nicht zu einem religiösen Akt machen. Aber man sollte den Fußball auch nicht verteufeln", so der Künstler.