Zwischen Angst und Alltag

Wie syrische Studenten in München auf Familienzusammenführung hoffen

11. Juni 2014

Syrische Flüchtlinge im Libanon

Wenn sie auf ihre Heimat Syrien zu sprechen kommen, lachen die beiden Medizinstudenten Nabil und Said verlegen. Dass das kein Ausdruck der Heiterkeit ist, wird schnell deutlich. Vielmehr wirkt es wie eine Form der Höflichkeit, denn sie wollen ihr Innerstes nicht nach außen tragen. Nabil und Said haben einen Asylantrag für ihre Angehörigen gestellt - und warten auf Antwort. Seit Jahresbeginn registrierte das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge mehr als 6.000 Asylanträge von Syrern, insgesamt wurden rund 42.000 Anträge gestellt.

Nabil F. (alle Namen von der Redaktion geändert) kam vor sechseinhalb Jahren aus der ostsyrischen Stadt Deir-ez-Zor nach München. Der 32-Jährige schließt derzeit mit dem praktischen Jahr sein Medizinstudium an der Ludwig-Maximilians-Universität München ab. Seit geraumer Zeit begleiten seinen Studienalltag Sorgen um die Familie in der Heimat. Ähnlich geht es auch seinem Studienfreund Said K. Der 25-Jährige kam 2008 aus Aleppo nach München. Die beiden treffen sich regelmäßig mit anderen syrischen Studenten in der Evangelischen Studentengemeinde München. Insgesamt leben in Bayern etwa 100 syrische Studenten, bundesweit sind es laut Bundesamt für Migration rund 1.700.

Die Studentengemeinde ist für Syrer zu einem wichtigen Treffpunkt geworden. Dort wird gekocht und über die Situation in der Heimat diskutiert. Heute sitzen Nabil und Said im Zimmer des Studentenpfarrers Friedemann Steck. Sie wollen wissen, ob dieser Neuigkeiten bezüglich ihrer Anträge auf Familienzusammenführung hat. Ende Februar haben sie diese bei der Ausländerbehörde des Kreisverwaltungsreferats eingereicht und warten seither auf Nachricht.

"Der Kontakt zum Kreisverwaltungsreferat ist sehr eng, ich unterstütze die Studenten beim Ausfüllen der Formulare, stelle Nachfragen, übernehme einen Teil der Kommunikation", erklärt Pfarrer Steck. Viele hätten eine "gewisse Hemmschwelle, auf das Amt zu gehen".

Für Nabil ist die Situation dramatisch: Der jüngere Bruder Tarek kam vor anderthalb Jahren nach Deutschland, vor wenigen Monaten folgte die Schwester Sara, 23 Jahre alt. Die Geschwister haben in Syrien den Bürgerkrieg hautnah miterlebt: Zerstörung, Folter, willkürliche Gewalt. Um Leichen am Straßenrand kümmere sich tagelang niemand, da Scharfschützen in der Nähe postiert seien, die vermeintliche Rebellenhelfer enttarnen wollen, erzählt Nabil.

Die drei Geschwister wollten ihre Eltern nach Deutschland holen. Mit der Antragstellung reichten sie einen unterschriebenen Mietvertrag ein, um die Chancen zu erhöhen. Die evangelische Kirche hatte sich dafür eingesetzt, eine Wohnung für die Eltern zu finden und in ihrem Namen zu mieten, noch wenige Monate ist sie reserviert.

Inzwischen hat sich die Situation dramatisch verändert. Vor vier Wochen starb der Vater. Nach einem Herzanfall war das notwendige Medikament zur Behandlung nicht auffindbar. Für die drei Geschwister war es besonders schlimm, nicht in der Nähe zu sein. Wäre Nabil zur Beerdigung geflogen, wäre er sofort zum Militärdienst verpflichtet worden, erzählt er. Nun warten die drei auf die Zusammenführung mit ihrer Mutter, mit der sie täglich telefonieren.

Auch Said kennt dieses Gefühl der Hilflosigkeit und Angst um die Familie. Eine seiner Schwestern ist in die USA ausgewandert, ihr sind die Eltern gefolgt. Noch aber müssen sie sich um das Erbe der Großmutter in Aleppo kümmern. Eine weitere Schwester lebt dort mit ihrem Mann. Saids Vater ist Schönheitschirurg. Weil sein Abschluss in den Vereinigten Staaten nicht anerkannt wird, ist er arbeitslos. Deshalb möchte Said die Eltern gerne nach Deutschland holen und sein Studium so schnell wie möglich beenden, um die Verwandten finanziell zu unterstützen.

Ohnehin ist es schwierig für die Münchner, über die Runden zu kommen. Bafög bekommen sie nicht, weil die entsprechende gesetzliche Ausnahmeregelung von 2013 erst seit Februar in Bayern gilt. Vereinzelt hilft ein Notfonds des Diakonischen Werks, für den Rest müssen die beiden Studenten selbst aufkommen. Nabil und Said sind sich einig, dass der Krieg noch viele Jahre anhalten wird. "Jetzt denke ich nur an die Familie", sagt Nabil und lächelt. Said ergänzt: "Vor der Revolution war ich ein bisschen stolz auf mein Land, in der Freiheit und Humanität herrschte. Nun bin ich einfach traurig um meine Heimat, die es so nicht mehr gibt." (epd)