"Selber denken macht glücklich"

Die evangelische Kirche startet ihre 31. Fastenaktion "Sieben Wochen ohne falsche Gewissheiten"

05. März 2014

Hermann Fischer

Ein umgebauter Hühnerstall war sein erstes Labor. Der 21-jährige Chemiker Hermann Fischer hatte sich in den Kopf gesetzt, Farben aus Pflanzen herzustellen. Es war Anfang der 70er Jahre, Fischer galt lange als Außenseiter in seinem Fach. Ein Öko-Pionier, noch bevor die Umweltbewegung ein Massenphänomen war. Heute, rund 40 Jahre später, verkauft Fischers Firma Auro in Braunschweig Lacke, Naturfarben, Schimmelentferner und Waschmittel in die ganze Welt.

Fischer studierte Chemie, wählte aber bewusst nicht den üblichen Weg, in einem großen Konzern zu arbeiten. Die Rolle der Chemie-Industrie während der NS-Zeit, beispielsweise die Produktion des Gases Zyklon-B für die Gaskammern, empfand er als abstoßend. Zudem erlebte er die konventionellen Techniken der Chemie als umweltschädlich. "Ich habe schon immer eine Neigung zum Widerspruchsgeist gehabt", sagt der 60-Jährige heute rückblickend.

Dazu, ausgetretene Pfade im Denken zu verlassen, ruft auch die diesjährige bundesweite Fastenaktion der evangelischen Kirche auf. Sie steht zwischen Aschermittwoch und Ostern (5. März bis 20. April) unter dem Motto "Selber denken! Sieben Wochen ohne falsche Gewissheiten". Nach Ansicht der Kuratoriumsvorsitzenden Susanne Breit-Keßler genügen dafür schon kleine Schritte.

Jeder könne damit beginnen, alltägliche Routinen wie den wöchentlichen Autoputz oder das abendliche Fernsehen zu hinterfragen, sagt die Münchner Regionalbischöfin. "Man muss nicht gleich das ganze Leben einreißen." Es gehe darum, Neues auszuprobieren und nicht einfach unreflektiert alles zu übernehmen, was andere oder man selbst immer schon so gemacht haben.

Konflikte bleiben dabei nicht aus, das weiß auch Hermann Fischer. Ihm war aber immer eine Haltung gegen die Erdöl-Chemie wichtig. Während seiner Zeit als Jungunternehmer wollte ihn einmal ein großer Konzern verklagen, weil er einen kritischen wissenschaftlichen Text verfasst hatte. "Ich habe mich zu Tode erschreckt", erinnert er sich.

Es kann schwer sein, der eigenen Überzeugung zu folgen, wie der Soziologe Harald Welzer weiß. "Nicht einverstanden zu sein, belastet und erhöht den Aufwand", sagt der Autor des Buches "Selbst denken".

Es sei völlig normal, dass viele Menschen so dächten wie alle anderen, sagt Welzer. "Menschen sind kooperative Wesen." Für die meisten sei es wichtig, soziale Normen nicht zu verletzen und gut vor den anderen dazustehen. "Studien haben gezeigt, dass es wirklich die Ausnahme ist, wenn Menschen sich gegen eine Gruppenmeinung stellen."

Für Hermann Fischer begannen diese Konflikte schon während der Schulzeit, als er dem "Obrigkeitsdenken der Lehrer" widersprach, wie er erzählt. Zweimal wurde er der Schule verwiesen. Seine damaligen Lehrer hätten sich wohl niemals vorstellen können, dass aus ihm ein erfolgreicher Unternehmer werden würde, sagt er heute.

Seine erste Labor-Ausrüstung bestand aus Alltagsgegenständen wie Kaffeefiltern. Da es keine aktuelle Literatur über pflanzenchemische Technologien gab, recherchierte er in Büchern aus dem 16. bis 19. Jahrhundert.

Nachfolgenden Generationen rät der Chemiker: "Tut, was ihr mit Leidenschaft tun wollt und was euch mit innerer Freude erfüllt." Auch Soziologe Welzer beschreibt dieses Gefühl als den besten Anreiz, um sich auch mal gegen die gesellschaftlichen Normen und Denkweisen zu stellen. Sich selbst als wirksam zu erleben, sei eine sehr positive Erfahrung, sagt er: "Selber denken macht glücklich."

In der Braunschweiger Firma werden auch heute alle Produkte aus natürlichen Rohstoffen hergestellt, ohne Erdöl, wie Fischer erzählt. Im Chemielabor riecht es nach Bienenwachs und Orangenöl - Zutaten für die Farben und Lacke, die in großen Behältern in der Produktionshalle angerührt werden. Im Labor wird weiter an neuen Produkten gefeilt. Seit einiger Zeit steige auch die Nachfrage nach veganen Produkten ohne tierische Zusatzstoffe.

Für seine Arbeit ist Fischer vielfach ausgezeichnet worden. Mittlerweile verwendeten immer mehr Kollegen natürliche Rohstoffe, sagt er. Auch weil sie erkannt hätten, dass das Erdöl ein endlicher Rohstoff sei. Mehr als 1.000 Vorträge hat der promovierte Chemiker über seine Ideen gehalten. Mit gewissem Stolz sagt er: "Ich habe die Arbeit eines intellektuellen Trüffelschweins übernommen". (epd)