„Menschenrechte an den Grenzen wahren“

Die Folgen europäischer Flüchtlings- und Migrationspolitik

09. Januar 2014

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Europa schottet sich ab. Immer wieder scheitern Flüchtlinge buchstäblich an den Bollwerken der europäischen Außengrenzen – die Bilder von überfüllten Flüchtlingsbooten vor Lampedusa sind um die Welt gegangen, haben aber kaum etwas verändert. Anstatt auf eine menschenrechtsbasierte Neuausrichtung der Flüchtlings- und Migrationspolitik zu setzen, werden die Abwehrmaßnahmen verstärkt.

Wie das im Einzelnen zusammenhängt und welche Konsequenzen aus der europäischen Einigelungstaktik erwachsen können, lässt sich in der Studie „Im Schatten der Zitadelle. Der Einfluss des europäischen Migrationsregimes auf Drittstaaten“ nachlesen, die veröffentlichen Brot für die Welt, medico international und PRO ASYL bereits im Dezember 2013 vorgelegt haben. Exemplarische Fallstudien zeigen düstere Szenarien auf.

Die Erfahrungen aus dem Senegal, Mauretanien, Tunesien, der Türkei und der Republik Moldau dokumentieren, wie die Vorgaben und Eingriffe der europäischen Migrationsabwehr bislang offene Regionen des Transits und des Verweilens verschließen. „Es zeigt sich, dass mehr Kontrolle nicht mehr Überlebenssicherheit, sondern im Gegenteil mehr Tod und Verfolgung schafft. Die betroffenen Länder verwandeln sich für Flüchtlinge, Migranten und Migrantinnen in gefängnisähnliche Zonen“, so Martin Glasenapp, Öffentlichkeitsreferent bei medico international. „Die zusätzliche Kriminalisierung irregulärer Ausreise ist dramatischer Ausdruck dieser Politik.“ Die Studien zeigen: Europas Politik gefährdet auch den sozialen Zusammenhalt in den betroffenen Gesellschaften und zerstört migrationsbedingte nachhaltige Entwicklungspotentiale.

Auch die so genannten EU-Mobilitätspartnerschaften mit Drittstaaten verfehlen bislang das erklärte Ziel einer Verknüpfung von Entwicklung und Migration. „Als Anreiz für die Kooperationsbereitschaft von Drittstaaten bei der Migrationskontrolle wird den Ländern Entwicklungshilfe angeboten – diese Konditionalisierung auf Kosten der Rechte von Schutzsuchenden ist inakzeptabel“, sagt Sophia Wirsching, die als Referentin für Migration bei Brot für die Welt tätig ist.

Das Grenzüberwachungssystem Eurosur hat Anfang Dezember 2013 seinen Betrieb aufgenommen und die Mobilitätspartnerschaft der EU mit Tunesien setzt auf Abwehr statt auf Reiseerleichterungen. Auch das am Mitte Dezember 2013 unterzeichnete Rückübernahmeabkommen zwischen der EU und der Türkei ist ein verheerendes Signal für den Flüchtlingsschutz. „Ein Abschiebeabkommen mit der Türkei abzuschließen und zu bejubeln, ist nicht nur schäbig, sondern drückt aus, dass Europa sich kollektiv seiner Verantwortung für den Flüchtlingsschutz entziehen will“, so Karl Kopp, Europareferent von PRO ASYL. Die Türkei hat bereits über 530.000 syrische Flüchtlinge aufgenommen – die gesamte EU gerade einmal 50.000. Die EU-Staaten Griechenland und Bulgarien weisen systematisch und völkerrechtswidrig Flüchtlinge in die Türkei zurück.

Das Thema Flüchtlinge wird die nächsten Jahre beherrschen – auch wenn es in den Medien nicht mehr den Stellenwert einnehmen wird, der einem humanitären Drama dieser Größenordnung angemessen wäre. Es besteht dringender Handlungsbedarf. Gerade Europa kann es sich nicht leisten, auf drängende Menschenrechtsfragen keine Antwort zu wissen. Eine Mauer zu errichten, ist jedenfalls keine.