Das Buch mit den sieben Siegeln

Mit der biblischen Beschreibung der Apokalypse können selbst viele Christen nichts anfangen

18. Dezember 2012

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Mainz (epd). Als Vorboten fürchterlicher Plagen haben die vier Reiter der Apokalypse seit Jahrhunderten Künstler inspiriert. Über die Bedeutung der geheimnisvollen Zahl des Antichristen, der 666, zerbrachen sich Generationen von Theologen die Köpfe. Die Offenbarung des Johannes, die Apokalypse, steckt voller schwer verständlicher und teils verstörender Bilder. Das letzte Buch der Bibel ist auch inhaltlich eine schwere Kost: Die Prophezeiung beschreibt das bevorstehende Weltende, die Entscheidungsschlacht zwischen Christus und dem Satan, die tausendjährige Herrschaft Christi auf Erden, das Jüngste Gericht und das daran anschließende "neue Jerusalem".

Entstanden ist der Text gegen Ende des ersten Jahrhunderts nach Christus als Rundschreiben an sieben frühchristliche Gemeinden auf dem Gebiet der heutigen Türkei. Bereits die frühen Kirchenväter stritten lange darum, ob er überhaupt Eingang in die Bibel finden sollte. In den orthodoxen Kirchen wird der Text prinzipiell nicht im Gottesdienst verlesen. Und auch Martin Luther fand keinen Zugang zur Johannes-Offenbarung, deren Verfasser nicht mit dem Autoren des Johannes-Evangeliums identisch ist: "Mein Geist kann sich in das Buch nicht schicken", resümierte der Reformator. In vielen Kirchengemeinden ist die Behandlung des Textes fast so etwas wie ein Tabu.

Christliche Sekten und neureligiöse Bewegungen waren hingegen schon immer angezogen von der Prophezeiung, aus der sie das baldige Ende der Welt herauslasen. Für Mormonen oder Zeugen Jehovas ist die Apokalypse eine der zentralen, wenn nicht die zentrale Bibelstelle. Sie sehen sie als Beleg dafür, dass am Ende der Weltgeschichte nur eine kleine Schar wahrer Gläubiger gerettet werden wird, während der Rest der Menschheit vor dem Untergang steht.

Der katholische Theologieprofessor Klaus Huber forscht seit Jahren über die Offenbarung des Johannes. "Die Bildwelt fasziniert mich", sagt der Österreicher, der an der Mainzer Johannes Gutenberg-Universität Vorlesungen zum Neuen Testament hält. Redewendungen wie die vom "Buch mit sieben Siegeln" oder dem "A und O" stammen aus der Offenbarung. Manche Textstellen blieben auch für ihn rätselhaft, gibt Huber zu. Fest steht aus seiner Sicht allerdings, dass die Apokalypse keine konkreten zukünftigen Ereignisse beschreibe: "Es geht nicht um einen Fahrplan für die Endzeit, sondern um eine Gegenwartsanalyse und deren Bewertung."

Bereits vor der Geburt Jesu waren Vorstellungen von einer Apokalypse im Judentum weit verbreitet. Auch viele frühe Anhänger der Jesus-Bewegung waren fest vom bevorstehenden Ende der Welt überzeugt. Die Offenbarung des Johannes entstand in einer Zeit, als die ersten frühchristlichen Gemeinden den wachsenden Druck vonseiten der römischen Gesellschaft zu spüren begannen und der Kult um die römischen Kaiser immer weiter zunahm.

Mit seinen Beschreibungen der "Hure Babylon" oder der beiden unheilbringenden, aus Meer und Erde aufsteigenden Tiere hat der Verfasser der biblischen Apokalypse von jeher einen Nährboden für allerlei Spekulationen geboten. Je nach zeitgeschichtlichem Kontext wurden die Höllenkreaturen als Umschreibung für Kaiser Nero, Luther oder die Päpste gesehen. Der Antichrist wurde wahlweise in Rom, in den USA oder in Hitlers Führerbunker verortet.

Der Theologe Huber glaubt, dass sich nicht nur die frühen Gemeinden im römischen Kleinasien in dem Text wiederfinden sollten. Johannes habe deshalb extra auf eine so bildreiche Sprache zurückgegriffen. So werde auch an spätere Christen appelliert, die angesichts der Nöte um sie herum ins Zweifeln gerieten. Die Apokalypse könne durchaus als tröstlicher Text in Zeiten zunehmender Drangsalierung verstanden werden: "Allen, die sich an Christus orientieren, kann nichts passieren. Für alle steht am Ende das himmlische Jerusalem bereit."

Ähnlich sah das auch Nikolaus Schneider, Ratsvorsitzender der Evangelischen Kirche in Deutschland, als er Ende 2011 bei einem ökumenischen Gottesdienst im Kölner Dom über den Offenbarungstext predigte: "Wir Christenmenschen heute wollen und müssen uns nicht den Kopf darüber zerbrechen, ob und wann diese letzte Zeit, die Endzeit für unsere Welt anbricht." Mit seinen Visionen vom Thronsaal Gottes wolle Johannes die Herzen der Christen mit Zukunftshoffnung erfüllen.

In der Stunde des Todes werde jeder Mensch Christus begegnen, sagte Schneider: "Auf alle anderen zeitlichen Spekulationen über ein Datum des Weltendes können wir ruhig verzichten."