Nur durch eine Messingplatte getrennt

Immer mehr Menschen bevorzugen Kirchen als Begräbnisstätten für Urnen

23. November 2012

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Zwei rote Rosen hat Horst-Dieter Haker seiner Frau diesmal mitgebracht. Zärtlich streichen seine Finger über die Messingplatte an der Wand. "Edith Haker" steht dort in schlichten Buchstaben eingraviert. Unter dem Namen das Geburts- und Sterbedatum. Am 24. Januar 2011 ist seine Frau an einem bösartiger Hirntumor gestorben. Sie war 64. Fast jeden Tag kommt Haker in die Kolumbariumskirche "Heilige Familie" in Osnabrück. Dann sitzt er auf dem Hocker vor der Urnennische und liest Gebete im "Gotteslob". "Hier bin ich meiner Frau ganz nahe", sagt er: "Nur wenige Zentimeter trennen mich von ihr."

Die katholische Kirche "Heilige Familie" ist die einzige in Osnabrück, die als Gemeindekirche und Begräbnisstätte für Urnen dient. 850 Urnennischen sind in die gemauerten Wände rund um den Gottesdienstraum eingelassen. Rund 300 sind bereits belegt oder reserviert. 1.900 Euro kostet eine Einzelnische für 20 Jahre, eine Doppelnische 3.800 Euro. Vor zwei Jahren wurde die Rundkirche eigens dafür umgestaltet. Sie hat zwei Architekturpreise eingeheimst für die gelungene Harmonie. Haker genießt die Stille: "Hier ist es trocken, sauber, angenehm. Ich fühle mich hier wohl."

So wie dem 71-jährigen Rentner geht es offenbar vielen Menschen. 2006 wurde die bundesweit erste Urnenbegräbnisstätte dieser Art in der St. Josefskirche in Aachen eröffnet. Mittlerweile gibt es bundesweit rund 25 Kolumbariumskirchen, sagt Reiner Sörries, Direktor des Museums für Sepulkralkultur in Kassel und Geschäftsführer der Arbeitsgemeinschaft Friedhof und Denkmal. Der Trend sei vor allem von Westdeutschland ausgegangen und habe sich nach Norden, in die Mitte und neuerdings sogar bis nach Erfurt ausgebreitet.

Im Osten seien weniger als 20 Prozent der Bevölkerung getauft, sagt der evangelische Theologie. Man muss nicht mal einer christlichen Konfession angehören, wenn man sich dort bestatten lassen will. Lediglich auf ein christliches Bestattungsritual müssen sich die Angehörigen einlassen. In Hannover wird derzeit die evangelische Nazarethkirche für den Einbau eines Kolumbariums vorbereitet. Die dortige katholische Herz-Jesu-Kirche wurde im Februar 2010 Norddeutschlands erste Kolumbariumskirche. Die Osnabrücker Kirche folgte im August.

Der Ursprung der Kolumbarien liegt in der Antike. Vermögende Römer nutzten Bauten mit Nischen für Urnen, um ihre Sklaven pflegeleicht und preisgünstig bestatten zu können. In Deutschland kamen sie erstmals mit der Einführung der Feuerbestattung Ende des 19. Jahrhunderts vereinzelt auf. Seit den 1980er Jahren seien immer häufiger Kolumbarien auf Friedhöfen eingerichtet worden, etwa in alten Kapellen, erläutert Sörries, Professor für christliche Archäologie.

Auch Bestattungsinstitute bieten mittlerweile solche Urnenbegräbnisstätten in angenehmer Atmosphäre an: "Die Menschen wollen diese alternative Formen zur traditionellen Friedhofsbestattung." Das habe auch, aber nicht nur mit praktischen Erwägungen wie der einfachen Grabpflege zu tun.

Für Kirchengemeinden ist der Einbau eines Kolumbariums in eine Kirche in Zeiten finanzieller Engpässe oft die einzige Alternative zum Verkauf, sagt Sörries. Immer häufiger mache dabei das Osnabrücker Beispiel Schule, die Kirche weiterhin auch als Gemeindekirche zu nutzen. "Die Gemeinde war zunächst skeptisch - jetzt ist sie froh, dass sie das Experiment gewagt hat", sagt Diakon Harald Niermann. Die Stimmung bei Messen oder Taufen sei nicht gedrückt. Der Umbau habe die Kirche sogar heller gemacht: "Wir sind - ganz wörtlich - mitten im Leben vom Tod umfangen."

Horst-Dieter Haker stört es nicht, dass manchmal Kreischen und Lachen vom benachbarten Kindergarten herüberdringt. Im Gegenteil: "Es ist schön, dass hier bei den Toten auch noch Leben ist." Er geht fast immer sonntags zu den Gottesdiensten. Beim Kauf der Doppelnische hat er auch an seine Kinder gedacht. Sie leben in Köln. Die Nische mit der Messingplatte davor benötige praktisch keine Pflege, sagt er. Doch vor allem spürt er hier die Nähe zu seiner Frau: "Ich weiß, dass ihre Asche hier mindestens 20 Jahre unverändert erhalten bleibt. Erst dann wird sie in eine unterirdische Kammer hinter dem Altar gestreut." (epd)