Befreit einen neuen Weg gehen

Die Beichte gibt es auch in der evangelischen Kirche

20. November 2012

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Buße erleichtert. Das hat auch die Protestantin Christiane Pohl erfahren. Die Krankenschwester hatte eine Freundin im Gespräch verletzt und später ihr Unrecht bemerkt. Die darüber empfundene Scham lähmte sie lange Zeit. Die Beichte half ihr schließlich, aus diesem Loch herauszufinden und wieder auf ihre Freundin zuzugehen. Fragen von Schuld, Beichte und Buße geraten auch in der evangelischen Kirche wieder zunehmend in den Blick. Einige Berliner Gemeinden bieten inzwischen Beichtgottesdienste an.

"Gott hat mir die Last abgenommen, die Schuld. So hat er mich aufgerichtet", beschreibt Christiane Pohl ihre Erfahrung. Anschließend konnte sie ihre Freundin um Verzeihung bitten. Als "Korrektur der Herzenshaltung" nutzt sie die Beichte weiterhin. Pohl gehört zur Gemeinde der Selbständigen Evangelisch-Lutherischen Kirche St. Marien in Berlin-Zehlendorf, in der die Beichte auf zweierlei Weise praktiziert wird: zum einen als gemeinschaftliches Sündeneingeständnis und zum anderen als Einzelbeichte.

Trotz zahlreicher psychologischer und psychotherapeutischer Angebote und Deutungsmuster vermissen viele Menschen Rituale, die ihnen die Last begangenen Unrechts abnehmen. Sie wüssten, dass sie sich "in Gedanken, Worten und Werken" vergangen hätten, sagt Thorsten Latzel vom Kirchenamt der Evangelischen Kirche in Deutschland. Er verweist auf Studien, die den Bedarf nach solchen Angeboten unterstreichen.

Befragt, was sie zu beichten hätten, berichteten Menschen über teils Jahrzehnte zurückliegende, teils gerade geschehene Verfehlungen. Sie reichten von bloßen Gedanken und Träumen, verheimlichten Schwächen und Süchten, dem Bedauern über fehlende Versöhnung mit Verstorbenen über verbale Kränkungen bis hin zu Betrug, Diebstahl, sexueller Untreue und massiven Rachegelüsten für erlittenes Unrecht.

Was für private Fehltritte gilt, trifft auch auf das öffentliche, zumal das politische Leben zu. "Wenn man sich das gesellschaftliche Klima ansieht, gibt es kaum etwas, wie man öffentlich mit Schuld umgeht", konstatiert Latzel und stellt sich die Frage, ob nicht der Buß- und Bettag eine Art Modell dafür sein könnte.

Auch der Bischof der Evangelischen Kirche Berlin-Brandenburg-schlesische Oberlausitz, Markus Dröge, ist überzeugt, dass "ein Bußverständnis, wie es der Buß- und Bettag geistlich vertritt, ein Beitrag zu einer guten politischen Kultur sein kann". Denn die Möglichkeit, Schuld einzugestehen, in sich zu gehen und über eine Sinnesänderung einen neuen Ansatz zu suchen, biete die Chance, Fehler zuzugeben, ohne gleich politisch vernichtet zu werden.

In Berlin gibt es mehrere evangelische Gemeinden, in denen die Beichte einen größeren Stellenwert hat. So wird diese seit einigen Jahren in der Berliner Domgemeinde praktiziert: Nach einem Gespräch in einem neutralen Raum folgt die eigentliche Beichte mit Sündenbekenntnis, Absolution, Gebet und Segen im Altarraum des Berliner Doms. Der Ortswechsel und der priesterliche Akt der Sündenvergebung gebe den Betroffenen "eine Art 'Rechtssicherheit', dass sie ihre Schuld losgeworden sind", berichtet Pfarrer Thomas Müller.

Schon weit länger, seit den 50er Jahren, hat die Beichte in der Schöneberger Gemeinde Zum Heilsbronnen ihren Platz. Um sich auf den Abendmahlsgottesdienst vorzubereiten, der gesondert vom Predigtgottesdienst stattfindet, können die Gemeindeglieder hier eine Beichtandacht aufsuchen. Darüber hinaus wird die Einzelbeichte in Anspruch genommen, sagt Pfarrer Christian Hövermann.

In der Gemeinde von Christiane Pohl hat Pfarrer Markus Büttner immer wieder beobachtet, dass Menschen nach der Beichte "befreit aufatmend einen neuen Weg gehen". Er wünscht sich daher, "dass die evangelischen Kirchen diesen Schatz wieder entdecken". (epd)