Lerngeschichte im Dialog

Kirchenamts-Vizepräsident sieht Themenjahr „Reformation und Toleranz 2013“ als Herausforderung

31. Oktober 2012


Das Themenjahr „Reformation und Toleranz 2013“ stellt nach Einschätzung des Vizepräsidenten des EKD-Kirchenamtes Thies Gundlach die Evangelische Kirche in Deutschland vor besondere Herausforderungen. Im Magazin zum Themenjahr betont der Leiter der theologischen Hauptabteilung: „Die Reformation hat – bei allen zu würdigenden Toleranzansätzen – keinen wirklichen Zugang zum Thema Toleranz gefunden.“ Toleranz gehöre nicht zu den Schmuckstücken reformatorischer Kirchengeschichte. Hier gebe es keine Heldengeschichten zu erzählen, sondern intolerante Haltungen einzugestehen, die letztlich erst durch die Aufklärung überwunden wurden.

„So sehr uns der reformatorische Aufbruch der Generation Martin Luthers, Huldrych Zwinglis und Johannes Calvins beeindruckt im Blick auf ihren Mut gegenüber der alles dominierenden katholischen Kirche, so sehr setzt uns die Intoleranz dieser Generation gegenüber ihren eigenen reformatorischen Partnern zu.“ Grundsätzlich gelte, dass im christlichen Glauben die Haltung der Toleranz ebenso angelegt sei wie die der Intoleranz, so Thies Gundlach.

Es gebe Anknüpfungspunkte zu beiden inneren Haltungen und ein ehrlicher Rückblick auf die vergangenen 500 Jahre Reformationsgeschichte zeige vor allem, dass auch in den reformatorischen Kirchen und ihrer Theologie die Kräfte der Intoleranz lange Zeit dominiert haben. „Man kann bestenfalls von einer Lerngeschichte in Sachen Toleranz erzählen, initiiert und getragen von einer Aufklärung, die zwar nicht prinzipiell gott- und glaubensfeindlich war, die ihre wesentlichen Einsichten aber weithin gegen die Kirchen durchsetzen musste.“

Die notwendige Lerngeschichte dauere bis heute an, so Thies Gundlach. In seinem Beitrag würdigt er ausdrücklich die ökumenischen Bemühungen und den jüdisch-christlichen Dialog. Weiterhin seien aber gemeinsame Anstrengungen nötig, jeder Form von Rassismus und Antisemitismus entgegenzutreten.

Anders und ungeübter sei hingegen noch immer das Verhältnis der christlichen Kirchen zu den muslimischen Mitbürgern. „Der Islam gehört zu Deutschland; so unbestreitbar richtig dieser Satz ist, so wenig ist es den reformatorischen Kirchen und ihrer Theologie gelungen, ein ausgereiftes Verhältnis zu dieser Religion zu finden“, sagt der Theologe selbstkritisch. Zu oft pendelten verschiedene Stimmen zwischen kritischer Klarheit und harmlos guter Nachbarschaft hin und her. „Das mag auch darin begründet sein, dass das Gegenüber zur Toleranz auch heute nicht zuerst Intoleranz, sondern die Angst um Identität ist.“

Für Vizepräsident Gundlach ist klar, dass die „Lerngeschichte“ der Toleranz noch lange nicht abgeschlossen ist. „Dazu gehört auch die Verantwortung dafür, die Grenzen einer verantwortbaren Toleranz zu kennen.“  Die Toleranz müsse intolerant werden, „wenn sie es mit den Feinden der Toleranz zu tun bekommt.“ Es gehe um eine wehrhafte Toleranz, der ebenso viel daran liege, den anderen zu kennen und zu verstehen, wie ihr daran liege, den Feinden solcher Toleranz zu widerstehen. „Und dass diese Lerngeschichte nur im Dialog und nicht statt Dialog weitergegeben werden kann, liegt ja auch auf der Hand“, so Thies Gundlach. (Foto: Katrin Binner)