Rast für die Seele
Tag der Autobahnkirchen
23. Juni 2012
Jan Krizak atmet tief ein und wischt sich den Schweiß aus der Stirn. Der Tscheche hat sein Auto im Tal abgestellt, direkt an der A 96 von Memmingen nach Lindau, und einen Spaziergang auf den Winterberg gemacht. In drei Tagen fährt Krizak 3.000 Kilometer, von Prag in die Schweiz und zurück, um Swimmingpools zu reparieren. Im kühlen Schatten der Gallus-Kapelle kann er einige Augenblicke ausruhen von den Strapazen der Fahrt und neue Kraft sammeln.
Der müde Tscheche ist kein Missionar wie der irische Wandermönch Gallus, der dem Gotteshaus seinen Namen gab. Er ist ein moderner Wanderarbeiter, der froh ist über eine Pause und dankbar für einen Moment der Erholung für Leib und Seele.
Am Sonntag findet der bundesweite "Tag der Autobahnkirchen" statt. In den derzeit 39 Kirchen und Kapellen an den Autobahnen werden an diesem Tag ökumenische Andachten mit Reisesegen angeboten. So wie Krizak nutzen jeden Tag viele Pendler, Pilger und Reisende die Kapelle auf dem Winterberg bei Leutkirch im Allgäu als Ort der Besinnung, genießen die Ruhe und den Ausblick. Es ist eine Insel der Stille im Dauerrauschen der Mobilität. Reisende können in den Autobahnkirchen ein Gebet sprechen, eine Kerze anzünden oder einfach ausruhen.
Eine Million Menschen machen jedes Jahr einen Stopp an einer der Autobahnkirchen. Der Theologe Gereon Vogler hat untersucht, was die Besucher der Autobahnkirchen bewegt. Sie spürten auf der Autobahn "die Fragilität des Lebens", sagt er. Dieses Gefühl des Bedroht- und Abhängigseins könnten sie in Autobahnkapellen mit Gott in Verbindung bringen. Dabei helfe die Anonymität: "Für Leute kann es ganz angenehm sein, nicht angequatscht zu werden."
Jan Krizak muss schon wieder los, er hat noch viele hundert Kilometer vor sich. Eine junge Familie kommt den Berg herauf. Die zwei Kinder spielen draußen, während die Eltern die Bilder in der Kapelle betrachten. Zwischen den Kunstwerken eröffnen Fenster auf Augenhöhe Ausblicke auf die Natur. Das Gotteshaus ist rund angelegt - ähnlich frühchristlichen Kirchen, die häufig an Reisewegen gebaut waren. Acht Säulen tragen ein sternförmiges Holzdach, das über dem Fundament leicht zu schweben scheint. Das signalisiert Offenheit - so sollen Begegnungen zwischen Besuchern verschiedener christlicher Konfessionen und anderer Religionen angeregt werden.
Mehr als die Hälfte der Besucher von Autobahnkapellen sind auch sonst regelmäßige Kirchgänger. Aber auch Kirchendistanzierte machen dort immer wieder Halt. Etwa 40 Prozent der Gäste gehen nur gelegentlich in ein Gotteshaus. "Für die ist es interessant, weil es ein niedrigschwelliger religiöser Ort ist", sagt Vogler. Deshalb besteht meist gar kein Bedarf an Gottesdiensten. Ein Versuch, in der Kapelle Waldlaubersheim unweit von Bingen in Rheinland-Pfalz regelmäßig Gottesdienste zu feiern, scheiterte. Vogler: "Die Leute wollen nicht einen weiteren Termin, nicht noch etwas, das man tun muss. Beim Autofahren stehen sie schon genug unter Druck." Ohnehin haben die meisten Kirchengemeinden nur indirekt mit den Kapellen zu tun - die meisten werden von Vereinen gegründet und getragen.
Auf einem Pult in der Gallus-Kapelle liegt ein dickes Buch, das viele Geschichten zu erzählen hat. Es ist bereits das 19. Gästebuch seit der Eröffnung vor zwölf Jahren, mehr als 150.000 Menschen haben Schätzungen zufolge bereits den Weg auf den Winterberg gefunden. Viele von ihnen tragen eine Last auf den Berg, die hier oben ein wenig leichter wird. "Menschen werden auf der Autobahn weichgekocht", sagt Vogler. "Da kommt ganz viel hoch." Manches davon findet seinen Weg in das Fürbittenbuch. Gedanken und Gebete, Geschichten von Trauer und Glück haben die Besucher darin notiert. Schutz auf der Reise, Hilfe bei Prüfungen, Segen für Beziehungen - es gibt nichts, das die Menschen nicht auf Papier und vor Gott bringen.
Das ZDF überträgt am Sonntag ab 9.30 Uhr einen Fernsehgottesdienst aus der Autobahnkirche St. Antonius im nordrhein-westfälischen Gescher bei Coesfeld. (epd)
