Atempause für Eltern todkranker Kinder

Bethel eröffnet erstes evangelisches Hospiz für Kinder und Jugendliche

30. April 2012

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In den ersten Monaten bemerken die Eltern an dem kleinen Jonas nichts Auffälliges. Nach zehn Monaten ändert sich das schlagartig: Jonas kann sich immer weniger bewegen und schließlich nicht mehr essen. Der Junge leidet an einem Gen-Defekt mit schweren Folgen, wie sich schließlich herausstellt. Der heute Vierjährige aus Duisburg ist einer der ersten Bewohner des Kinder- und Jugendhospizes Bethel, das am Mittwoch in Bielefeld offiziell eröffnet wird.

In dem Hospiz genießt es Vater Moritz Thevissen, mit Jonas Zeit in einem Familien-Whirlpool zu verbringen. "Für uns als Familie ist das eine echte Erholungszeit", sagt er. In dem rund dreiwöchigen Aufenthalt wohnen abwechselnd die Großmutter, der Vater und die Mutter bei Jonas im Kinderhospiz. Um den im Rollstuhl sitzenden Jonas kümmert sich ein Team von Kinder- und Gesundheitspflegerinnen, Pädagogen und einem Arzt. Derzeit sind 25 Mitarbeiter in dem Hospiz angestellt, langfristig sollen hier 45 Menschen arbeiten.

"Wir wollen den Eltern, die ein schwer krankes Kind haben, eine Auszeit von ihrer schweren Pflegeaufgabe ermöglichen", erklärt Bethel-Chef Ulrich Pohl. "Sie und die Geschwisterkinder sollen für sich Zeit bekommen und trotzdem ihr krankes Kind nicht abgeben müssen", erläutert der Vorstandsvorsitzende der v. Bodelschwinghschen Stiftungen. Derzeit gibt es bundesweit zehn vergleichbare Einrichtungen. Das Kinder- und Jugendhospiz Bethel ist das erste in evangelischer Trägerschaft.

Das neue Hospiz kann bis zu zehn schwer kranke Bewohner aufnehmen. Zwei der Zimmer sind für Kinder eingerichtet, die dauerhaft beatmet werden müssen und rund um die Uhr intensive Betreuung brauchen. Im oberen Stockwerk wohnen Eltern und Geschwister. "Es soll ein bisschen wie Urlaub für die Familien sein", erläutert die Leiterin des Hospizes, Ulrike Lübbert, das Konzept. Ebenso aber auch ein Ort, um über den Tod und das Sterben zu sprechen.

Die Familie Thevissen schätzt im Hospiz den Austausch mit anderen Familien. Raum dafür bieten beispielsweise Gemeinschaftsräume mit Kamin und einem Blick ins Grüne. Mit einem schwer kranken Kind zu Hause fühle man sich manchmal wie ein Sonderling, erzählt der 31-jährige Vater Thevissen. "Hier ist das überhaupt nicht so." Auch beim Essen sind die Familienangehörigen und Hospiz-Mitarbeiter zusammen.

Anders als in einem Hospiz für Erwachsene kommen die Kinder und Jugendlichen häufig über Jahre jeweils für mehrere Wochen in die Einrichtung. Vier Wochen pro Jahr werden von den Krankenkassen bezahlt. Angegliedert an das Hospiz ist ein ambulanter Palliativdienst, der kranke Kinder auch zu Hause betreut.

Am Ende des Elternbereichs liegt ein großer heller Raum. An der Wand über dem Bett leuchtet ein großer Mond, das Licht strahlt durch ein buntes Sonnen-Glasfenster. Familie, Freunde und Mitarbeiter sollen hier Abschied von einem gestorbenen Kind nehmen können. Die meisten Kinder werden wahrscheinlich zu Hause sterben, erläutert Hospiz-Leiterin Lübbert. Das wünschten sich die Familien, dabei würden sie von dem Hospiz unterstützt.

Mehr als 22.000 Kinder leben nach Angaben des Deutschen Kinderhospizvereins in Deutschland mit einer unheilbaren tödlichen Krankheit. Jedes Jahr sterben 1.500 von ihnen. Seit der Eröffnung des ersten stationären Kinderhospizes im sauerländischen Olpe 1998 kamen neun weitere Hospize für junge Menschen hinzu. Das Bielefelder Kinderhospiz soll die Versorgungslücke weiter schließen.

Auf rund 7,2 Millionen Euro werden die Kosten für Bau, Einrichtung und Unterhalt der ersten zwei Jahre beziffert. Das Interesse an dem allein aus Spenden finanzierten Kinderhospiz ist groß. Rund 24.000 Spenden gingen für das Hospiz ein. Viele bekannte Gesichter übernahmen eine Patenschaft, darunter der Komiker Ingolf Lück, der WDR-Moderator Frank Plasberg, die Jugendbuchautorin Cornelia Funke und der frühere Präses der Evangelischen Kirche von Westfalen, Alfred Buß. Außerdem wollen viele Bielefelder ehrenamtlich helfen.

Eine so große Unterstützung sei einmalig, sagt Bethel-Chef Pohl erfreut. "Das haben wir in Bethel so bisher noch nicht erlebt, auch wenn wir in der Vergangenheit immer wieder Spendenprojekte mit Hilfe unserer Freunde und Förderer verwirklichen konnten." Das Kinderhospiz bleibt auch weiterhin auf Spenden angewiesen: Die Krankenkassen finanzieren den Aufenthalt der Kinder, die pädagogische Betreuung und die Unterbringung der Eltern werden aus Spenden bestritten. (epd)