Nur noch der Beginn eines langen Wochenendes?

Was uns der Karfreitag heute noch alles zu sagen hat

06. April 2012

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Karfreitag - dabei geht es im wahrsten Sinne des Wortes um Leben und Tod. Der Tod Christi am Kreuz macht deutlich: Leiden, Sterben und Tod stehen nicht im Gegensatz zu einem sinnerfüllten Leben. Sie sind nicht Zeichen der Gottesferne und müssen nicht verdrängt werden. Der Tod lässt das Leben nicht vergeblich sein. Um uns das zu zeigen, hat Jesus Christus den Tod am Kreuz auf sich genommen. Er hat sein Leben für uns geopfert. 

Ganz anders sehen Jugendliche "Opfer" heute. "Du Opfer" ist ein gängiges Schimpfwort unter Jugendlichen. Es grenzt aus und verweigert Anteilnahme und Solidarität: Wem es schlecht geht, der ist eben irgendwie selbst schuld. Und das rechtfertigt Hohn und Spott, aber auch Schläge und Tritte.

Selbst schuld: Das scheint mitunter auch der Grundton in der Auseinandersetzung mit der Finanzkrise in Griechenland. Wer so spricht, lenkt von der Tatsache ab, dass die europäischen Staaten insgesamt seit Jahrzehnten weit über ihre Verhältnisse gelebt und sogar von der Verschuldung anderer Länder profitiert haben. Selbst schuld: als ob wir mit Schuldzuweisungen die Probleme Europas lösen könnten.
 
Je komplizierter die Welt für uns aussieht, desto anfälliger werden wir für einfache Antworten und für leichtfertige Schuldzuweisungen, sei es auf den Finanzmärkten, sei es auf dem Schulhof: "Du Opfer".

Karfreitag wirft ein anderes Licht auf diese Themen, auf Schuldzuweisung, Selbstrechtfertigung und Opfer. An Karfreitag hat sich Jesus Christus selbst zum Opfer gemacht. Im Predigttext zum Karfreitag im Hebräerbrief heißt es im 9. Kapitel (Vers 26): "Nun aber, am Ende der Welt, ist er ein für allemal erschienen, durch sein eigenes Opfer die Sünde aufzuheben".

Sünde? Ein sperriger Begriff für den modernen Menschen. Sünde verstehen Christinnen und Christen als das Verhängnis der Gottferne, die Abkehr von Gott, den Versuch des Menschen, selbst wie Gott sein zu wollen. Wer sich selbst letzte Instanz ist, muss alle Sorge für sich tragen, notfalls auch gegen den Anderen. Das Eingeständnis von Scheitern oder Schuld fällt umso schwerer, je mehr wir darauf angewiesen sind, die Fassade der Selbstrechtfertigung zu wahren. Wie viel einfacher ist es da, sich Opfer zu suchen: Schuld sind immer die anderen.

Aber Karfreitag durchkreuzt dieses Spiel der Schuldzuweisung und Schuldabwälzung. An Karfreitag wird deutlich: Gott geht den Menschen hinterher, hinein ins Dunkle, auch in seine Schuld, in das Leid, in die Einsamkeit. Zum Menschsein gehören Scheitern, Schmerz und Versagen. Gottes Liebe nimmt auch die dunklen Seiten der Welt und der Menschen auf sich, um zu heilen und zu versöhnen. Jesus geht hinein in diese Finsternis, er erleidet den Tod – und er überwindet ihn.

Der Sieg am Kreuz ist keine triumphale Erfolgsgeschichte – jedenfalls nicht nach den gängigen Maßstäben der Welt. Das Heil Gottes für die Welt ist begründet in einem leidvollen und schmachvollen Tod am Kreuz. Und wir glauben: Dieses Ende ist ein neuer Anfang. Gewalt, Unrecht und Tod haben nicht das letzte Wort über den Gottessohn. Deshalb haben Gewalt, Unrecht und Tod auch nicht das letzte Wort in unseren Menschengeschichten.

Und wir können uns auch den dunklen Seiten des Lebens stellen, ehrlich und ohne Beschönigung. Wir müssen nicht selbst Gott sein. Wir müssen nicht mehr ablenken von unseren eigenen Schwächen und Fehlern und andere zum Verlierer, zum ‚Opfer‘ erklären. Wir brauchen niemanden mehr auszugrenzen, sondern können uns solidarisch zeigen mit Schuld, Leid und Schmerz.

Der Karfreitag ist ein stiller Feiertag. Menschen brauchen diese Stille. Denn jeder Mensch ist irgendwann mit Schmerz und Tod konfrontiert. Der Karfreitag vergegenwärtigt diese Themen. Christinnen und Christen bringen dabei zur Sprache, was Menschen häufig sprachlos macht. Sie bieten spirituelle Lebensformen an, wo Starre oder Verdrängen oft das Verhalten bestimmen. Ich lade Sie ein: Erleben Sie diese Formen der Gemeinschaft heute und in den kommenden Tagen in ihrer Kirchengemeinde. Und lassen Sie sich zusprechen: Gott eröffnet für die Welt und für alle Menschen durch Jesu Leben, Sterben und Auferstehen einen Weg, selig – also von Gott begleitet – zu leben und zu sterben.

Ein Beitrag von Nikolaus Schneider, Ratsvorsiteznder der EKD, in der Rhein-Zeitung vom Gründonnerstag, 05. April 2012